- 114 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Werk ein "Klassendrama" und ein "existenzielles Drama" zugleich. Die Handlung könnte zu allen Zeiten spielen. Die Personen entfliehen dem Geschehen nicht: Sie sind ihm gleichsam ausgeliefert.

Wie fast zweihundert Jahre später Bernd Alois Zimmermann, möchte Lenz den aktiven Zuschauer, der hinter den Disharmonien die Sehnsucht nach Harmonie spürt, sich betroffen zeigt und herausfordern läßt, die Bruchstücke einer äußeren Handlung als Bestandteile einer gesellschaftlichen und religiösen Utopie zu erkennen. Gleichzeitig möchte er Distanz schaffen. Der Zuschauer soll sich in das Ganze der Handlung und nicht in beliebige Einzelschicksale einfühlen. Die Maschinerie, die Personen zu Objekten macht und sie ihrer selbst entfremdet, soll erkennbar werden. Für seine Komödie Der neue Menoza, welche die zeitkritische Perspektive fortsetzt, erhält Lenz vernichtende Kritiken. Der Druck seiner Plautuskomödien wird in Straßburg verboten. Sie erscheinen in Frankfurt und Leipzig.

     Unter dem Eindruck des anhaltenden Mißerfolgs verschlechtert sich das Verhältnis zu Goethe. Er läßt Manuskripte, die Lenz ihm anvertraut, ungedruckt, so dessen Wertherbriefe. Ein Manuskript, das Lenz Goethe schenkt, geht verloren. Er rät Lenz von der Veröffentlichung des Pandämonium Germanicum, einer Literatursatire, und der Schrift Über die Soldatenehen ab. Letztere solle er verbrennen. Lenz sieht in Goethe einen Herrscher über die deutsche Literatur. Er selbst ist von Versagensängsten gezeichnet und gequält.

     Als seine finanzielle Situation als freiberuflicher Schriftsteller in Straßburg sich zuspitzt, plant er eine Reise nach Weimar, wo er Wieland und Goethe trifft. In Frankfurt findet er im Elternhaus Goethes Aufnahme. Mit der Mutter wird er über den Bruch mit Goethe hinaus im Briefwechsel bleiben. In Weimar nimmt Goethe Lenz bei sich auf und führt ihn bei Hofe ein. Von Herzog Karl August gefördert, beginnt Goethe, politischen Einfluß zu gewinnen. Deutlich entwickeln sich Lenz und Goethe auseinander. Lenz verläßt Weimar. Charlotte von Stein lädt ihn gegen Goethes Willen auf ihr Landgut Kochberg ein, das er am 25. November 1776 verläßt. Am 26. November erfolgt das endgültige Zerwürfnis mit Goethe, den Lenz einer Tagebucheintragung Goethes zufolge beleidigt: "Lenzens Eselei" (Damm, "J. M. R. Lenz" 736). Goethe veranlaßt, daß Lenz Weimar auf herzoglichen Befehl verlassen muß. Ein Jahr darauf bricht seine Krankheit aus. Briefe von Goethes Seite sind nicht erhalten. Sigrid Damm geht davon aus, daß Lenz und Klinger Goethes Karriere am Weimarer Hof im Wege standen, daß ein Weg gefunden werden mußte und gefunden wurde, ihrer ledig zu werden.

     Der Anlaß des Zerwürfnisses zwischen Lenz und Goethe ist unbekannt. Neben möglichen Verstößen gegen die Hofetikette durch Lenz, kommen die Verschieden-


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