- 441 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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das einzige, was Kilgore inmitten dieser Feuerhölle interessiert, sind die »schönen zwei Meter hohen Wellen«. Und so schickt er seine GIs nach ihrer Landung nicht etwa ins Schlachtgetümmel, sondern auf die Surfbretter, während diese in den Wellen den Kugelgarben der Vietnamesen ausweichen müssen. Daraufhin läßt Kilgore das Gebiet mit Napalm »säubern«.

Coppola präsentiert hier eine geballte Vernichtungswut, die sich von jedem rationalen Kalkül getrennt hat. Wagner als ein Symbol der westlichen, europäischen Kultur verkörpert für Kilgore den pathetischen und erhabenen Sieg – gleich dem »Geruch von Napalm am Morgen«. Damit wird die Rechtfertigung der US-imperialen Mission amerikanischer Befehlshaber, ein zurückgebliebenes Volk vor dem Kommunismus zu bewahren, zu einer schreienden Farce. Der ungebremste Schrecken von Kurtz’ privatem Regime erscheint somit lediglich als eine Variante des allgemeinen Terrors, den die USA in Vietnam verbreiten. Auch die Armee ist angesteckt von dem Wahnsinn. Nicht nur Kurtz’ Regime, das die Befehlshierarchie ignoriert, verweist darauf, daß die US-Armee in Vietnam von Verfallserscheinungen heimgesucht wurde.16

16 Reinecke 1993, S. 40.
Je näher Willard Kurtz kommt, desto brüchiger erscheint der militärische Moralkodex, in dem säuberlich legitimes von illegitimem Morden getrennt ist. Dies demonstriert Coppola nirgendwo so eindringlich wie in dieser Szene, in der die allgemeine Moral zur grotesken Fratze wird und mit dem vietnamesischen Dorf im Pulverdampf versinkt.

Von dem ursprünglichen Kontext Wagners ist hier nicht allzuviel übriggeblieben. Es geht nicht mehr um die Bevölkerung von Walhall, sondern um sinnloses Morden, Tod und Verderben im Namen einer brüchig gewordenen militärischen Mission, die mit der Amoral einer amerikanischen Freizeitgesellschaft gespickt ist. Es sind lediglich zwei Wagnersche Aspekte, durch die der Film an dieser Stelle durch den musikalischen Kontext geprägt wird: die unerschütterliche und ultimative Eindringlichkeit des musikalischen Satzes und der Kontext der Operntradition. Der »Walkürenritt« ist ein sinfonisches Gedicht17

17 Kurt Pahlen: Richard Wagner: Die Walküre. Der Ring des Nibelungen. München 1994, S. 134.
, prunkvoll instrumentiert mit vollem riesigem Orchesterapparat. Der punktierte Rhythmus ist dominant und niederwerfend. Er beherrscht die gesamte Szene des Angriffs. In dieser Hinsicht bildet das Zitat rein musikalisch bereits ein affirmatives Moment der Bildillustration- wie auch interpretation. Der hohe Geräuschpegel während der gesamten Szene deckt sich mit der energischen Dynamik des »Walkürenritts« ebenso wie die gehetzte Rhythmik der Montage mit Wagners ultimativen Punktierungen kompatibel ist. Auf diese Weise herrscht zwischen visueller und auditiver Ebene ein absoluter Synchronismus, der den Hubschrauberangriff so pompös und mitreißend erscheinen läßt. Indem Coppola diese Parallelität bis in die Filmgliederung verfolgt – viele Schnitte erfolgen im Takt der Musik – erhält diese letztlich auch eine klare syntaktische Definition.

Der allgemeine Opernkontext wird insofern offenbar als daß der gesamte Film ähnlich wie Polanskis Der Tod und das Mädchen nach musikalischen Mustern strukturiert ist. Jansen erwähnt an dieser Stelle den fulminanten Verriß des Kritikers David Denby, der Coppolas Opus im negativen Sinne als eine »acid-rock opera« bezeichnet hat.18

18 Jansen 1985, S. 138.
Tatsächlich läßt der Film eine Dramaturgie erkennen, die von der

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