15. Exkurs: Das Zitat als Ausdruck historischer Beschriftung: Francis Ford Coppola:
Apocalypse Now!
In einem letzten Schritt soll die Funktion eines Zitates im Spiegel seiner eigenen
Rezeptionsgeschichte im Sinne einer »doppelten Beschriftung« dargestellt werden.
Bisher bildete der ursprüngliche musikwissenschaftliche Kontext die Basis der
dramaturgischen Argumentation. Anhand des Films Apocalypse Now, in dem Coppola
den Angriff der Hubschrauber-Staffel mit Wagners »Walkürenritt« unterlegt, bietet
sich in der abschließenden Konsequenz die Möglichkeit, einen Blick auf die
mehrfache filmische Verwendung eines Zitates respektive deren Konsequenzen zu
werfen.
Francis Ford Coppolas vierjähriges work in progress brachte die Bestätigung der alten Geschichte
– »Krieg ist die Hölle!«. Coppolas Vision der Hölle ist eng an Joseph Conrads Novelle Heart of
Darkness1
1 Joseph Conrad: Heart of Darkness (with the Congo Diary). Harmondsworth
1995.
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angelehnt, erschienen im Jahre 1899. Die Erzählung spielt im Kongo während der
Kolonialzeit. Neben Conrads Vorlage benutzte Coppola die Vietnam-Reportagen des
Kriegskorrespondenten Michael Herr.
Vietnam, Ende der sechziger Jahre. Der Krieg ist auf seinem Höhepunkt. Captain Willard
(Martin Sheen) erhält den Auftrag, Colonel Walter E. Kurtz (Marlon Brando) im Dschungel
aufzuspüren und zu liquidieren. Kurtz, ehemals ein hochdekorierter Elitesoldat, stellt sich
gegen die amerikanische Politik der Kriegsführung. Er hat sich selbst zum Gott eines
Eingeborenenstammes im Herzen des Dschungels gemacht und führt als eine Art
Privatkrieg ein gandenloses Schreckensregime. Auf einem Patrouillenboot fährt Willard den
Nam-Fluß nach Kambodscha hinauf. Mit ihm auf dem Boot sind: Chief Philipps, Lance
Johnson, Surfchampion aus Kalifornien; Chef, ein Koch aus New Orleans; Clean, ein
junger Schwarzer aus der Bronx. Die Fahrt durch den Dschungel wird in Anlehnung an
die literarische Vorlage auch für Willard zu einer Konfrontation mit der makaberen
Realität – und mit sich selbst. Sie wird zur Frage nach der Grenze zwischen Gut
und Böse, zwischen dem Krieg als Mittel, politische Ziele durchzusetzen, und der
Verselbständigung entfesselter Allmachtsphantasien, die nicht mehr zu kontrollieren
sind.2
2 Tim Darmstädter: »Apocalypse Now.« In: Töteberg 1995, S. 37.
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Wie bei Conrad gerät Willards Reise zu seinem Alter ego zu einem alptraumhaften Taumel
in eine von Grauen beherrschte Unterwelt, eine Nachtwelt der Vernunft, in der die
Normen der Zivilisation außer Kraft gesetzt sind. Indem Willard sich der Person
Kurtz’ anhand des Dossiers nähert, taucht er zunehmend ein in die Abgründe seiner
eigenen Seele, eine Grenzüberschreitung, die ihn an den Rand der Selbstzerstörung
führt.
Er trifft auf Lieutenant Colonel Kilgore (Robert Duvall), der zu den Klängen von Wagners
»Walkürenritt« mit seiner Hubschrauber-Staffel ein vietnamesisches Dorf »ausradiert«
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