- 422 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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der Leinwandfiguren, die am Ende nur noch von ihrer Gewaltbereitschaft dominiert werden. Als solche steht sie im absoluten Kontrast zu der klaustrophobischen Atmosphäre, in der die Charaktere zusammengezwungen werden. Ihre gegenseitige Konfrontation ist so unausweichlich wie die mit Schuberts Streichquartett. Zum anderen enthält der langsame Satz auch melodisch die deutlichste Analogie zum gleichnamigen Claudius-Lied, in dem der Tod durchweg positiv, sanft und gutmütig dargestellt wird. Polanskis dramaturgisches Ziel ist jedoch die emotional aufreibende Perversion dieser Vorstellung. Auf diese Weise wird die so konstant durchgehaltene Relativität der Wahrheit letztlich mit Hilfe der Musik in eine quälende Gewißheit aufgelöst. So wie Paulina von Miranda gefoltert wurde, so wurde auch Schubert von ihm mißbraucht. Die»Verhandlung« bietet Paulina die Möglichkeit, Schuberts »Unschuld« zurückzufordern, d.h. Rache zu nehmen. Auf diese Weise liefert Polanski durch die Musik zugleich den Schlüssel zur Dramaturgie, die jene eingangs erwähnten Fragen aufwirft: was passiert, wenn die Rollen zwischen Folterer und Opfer vertauscht werden, wie gebraucht die Frau ihre auch sexuelle Macht über den Mann? Sollte man Gewalt mit Gegengewalt vergelten? Die Antworten bleiben aus, der Zuschauer ist gefragt. Damit folgt Polanski der Definition des Dramas, das auf ein tragisches Ende hinausläuft, in dem der Zuschauer »Verantwortung« übernimmt. Zwar hat Paulina am Ende »ihren Schubert« im Sinne der Katharsis zurückgewonnen. Über dem ersten Satz des Quartetts liegt jedoch der Schatten unmenschlicher Brutalität, der in Gestalt Mirandas nicht nur Paulina verfolgt, sondern auch den Zuschauer, der das Kino mit einem Schauder verläßt.


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