Musik
nicht einfach nur unmotiviert im Hintergrund läuft, bemerkt man spätestens an der
Tatsache, daß Polanski die Partitur auf die Szene zurechtschneidet. So verkürzt er im
folgenden die Reprise des Satzes um 15 Takte. Damit paßt er die Musik syntaktisch dem
filmischen Verlauf an, denn mit Ablauf der Reprise sind die Ziele Paulinas
formuliert: sie will Mirandas Geständnis, ansonsten werde er sterben. Dabei
nimmt sie seine mögliche Unschuld gleichmütig in Kauf. Auf dem Höhepunkt der
Reprise erfolgt der Schnitt zu Miranda, der aufrecht auf seinem Stuhl verharrt.
Spätestens an dieser Stelle wird der Sinn der zurechtgestutzten Partitur offenbar,
denn durch die hinhaltenden Triolen der nun beginnenden Coda entsteht eine
Spannung, die durch Gerardos Zögern noch bestätigt wird, der nun wieder
den Raum betritt. Miranda – nervös und nichts Gutes ahnend – beobachtet
ihn genau, sein Angst wird zusätzlich durch Paulina geschürt, die plötzlich im
Hintergrund am Fenster auftaucht. In diesem Moment er-fährt die Melodie eine
dramatisch anmutende Rückung. So paßt sich die Musik haargenau der äußeren wie
auch inneren Handlung an. Indem der Verlauf der Dialoge sich mitunter an
kompositorischen Abschnitten orientiert, wird die Musik sowohl syntaktisch wie auch
inhaltlich-dramaturgisch vollkommen in den Film miteingebunden und bildet als solche
eines der wichtigsten dramaturgischen Mittel im Film. Kurz darauf stellt Gerardo
die Musik aus, nun beginnt für Miranda eine Odyssee zwischen Lügen und
Halbwahrheiten.
Im abschließenden Epilog (Szene 38) erklingt der erste Satz des Streichquartetts ein letztes Mal. Nach dem umfassenden Geständnis Mirandas schließt sich der dramaturgische Kreis im Konzertsaal. Der Zuschauer hat nun das Ausmaß der Bedeutung dieses Quartetts erfaßt, dementsprechend arbeitet Polanski in diesem Epilog mit ruhigeren Kamerabewegungen als im vergleichbaren Prolog. Während da die Schnitte recht gehetzt aufeinanderfolgen, um den Zuschauer mitten ins dramaturgische Geschehen zu werfen, erweitert nun ein langsamer und gelassener Kameraschwenk als Gegenbewegung zur Rasanz der Musik die Szene. Nach einem langen Zoom erkennen wir erneut Paulina und Gerardo im Publikum. Paulinas Blick wendet sich nach rechts, die Kamera folgt ihr: auf der Empore sitzt Miranda mit seiner Familie. Er beobachtet sie unentwegt, als Zuschauer fragt man sich, was wohl in seinem Kopf vorgeht. Vergeblich sucht man nach einem Anzeichen reuevollen Bedauerns in seinem Gesichtsausdruck. Die Bedeutung dieser Begegnung in einer im Vergleich zu ihrer gemeinsamen Vergangenheit »zivilisierten« Umgebung erfaßt der Ausdruckscharakter der Musik. »Wir werden mit ihm leben müssen«, so lautet Paulinas Antwort. Doch die Dramatik des ersten Satzes offenbart die Problematik dieses Vorhabens. Auch die »Verhandlung« im Hause der Escobars kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sowohl Paulina als auch ihr Schubert erheblichen Schaden genommen haben. Daß unter diesen Umständen das Zusammenleben mehr als schwierig ist, demonstriert die erneute Dramatik des ersten Satzes in dieser letzten Szene. Obwohl Polanski diese letzte Frage offen läßt, erreicht er wiederum durch die Musik in letzter Instanz eine klare syntaktisch definierte Geschlossenheit. Auch dieser Film bestätigt die vorangestellte These. Schuberts Musik fungiert als dramaturgischer Schlüssel. Der erste Satz ist zunächst durch seine kompositorische Beschaffenheit in der Lage, Struktur und Emotionalität der Szenen widerzuspiegeln. Das gleichnamige Lied suggeriert darüber hinaus eine eindeutige |