übertrieben »masochistischer Inbrunst« darstellt, wie Blumenberg zu Recht spöttelnd
anmerkt.12
12 Hans C. Blumenberg: Kinozeit. Aufsätze und Kritiken zum modernen Film 1976–1980.
Frankfurt am Main 1980, S. 156.
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Eine unvorteilhafte Omabrille, brave Gretchen-Frisur, biedere Kleidung und eine eckige
Gestik machen aus ihr ein »häßliches Entlein«, dessen gequälte Verklemmtheit bereits
an Parodie grenzt. Ihrer Mutter tritt sie mit kindlicher, zuweilen weinerlicher
Unterwürfigkeit gegenüber, hinter der sich jedoch eine Viper verbirgt. Obwohl Bergman
damit in seiner Charakterinszenierung ein wenig übers Ziel hinausschießt, ist die
Funktion Chopins unüberhörbar. Das Prélude ist hier ein affirmativer Spiegel von Evas
Charakter, ihrer seelischen Verfassung, deren Reflexion durch die Art ihres
Vortrages noch verstärkt wird. Sie (genauer gesagt die Pianistin Käbi Laretei)
spielt das Stück verkrampft mit gelegentlichen Fehlern. Die Kamera verweilt
statisch in einer Nahaufnahme, in der wir Eva im Profil erleben. Ängstlich und
gehemmt folgt ihr Blick den Noten. In jeder Sekunde, in der sie sich vorsichtig
durch die komplizierten Dissonanzen hangelt, ist sie sich der Gegenwart ihrer
dominanten Mutter bewußt. Deren Gesichtsausdruck - ebenfalls in einer Nahaufnahme
festgehalten – reicht denn auch während Evas Vortrag von ästhetischer Qual der
professionellen Pianistin bis hin zu einem beinahe tränengerührten (vielleicht auch
verlegenen) Lächeln mütterlichen Stolzes. Als Eva erleichtert den rettenden
Schlußakkord erreicht, hält sie schnell ihre Hand vor den Mund gleich einem Kind, das
man beim Stehlen erwischt hat. Sie wirkt überrascht darüber, daß sie während
ihres Spiels anscheinend über sich selbst hinausgewachsen ist. Als sie jedoch die
Mißbilligung ihrer Mutter über die Art und Weise ihrer Interpretation bemerkt,
versucht sie, ihre Wut und Enttäuschung zu verbergen, indem sie Charlotte
nachdrücklich zu einer professionellen Deutung des Préludes auffordert. Viktor, der Evas
Schmerz über die erneute Dominanz der Mutter erkennt, kann sich nur hilflos ans
Fenster zurückziehen. Im Vergleich zu den bereits behandelten Filmen wird die
Musik hier erstmals zum aktuellen Kristallisationspunkt der gesamten Szene.
Dadurch erhält sie einen hohen Grad an ästhetischer Eigenständigkeit. Ihre
Interpretation beherrscht die semantische Aufladung. Es wird schnell deutlich,
daß Eva den ohnehin bereits grüblerischen Charakter des Préludes durch die
Art ihres Spiels noch verstärkt. Sie nutzt die Musik im Sinne einer affirmativ
psychologischen Funktion als gefühlsreflektierendes- wie auch auslösendes Medium,
durch das sie ihre unterdrückten Emotionen ihrer Mutter gegenüber freiläßt. Da sie
dies sonst nicht kann, ist sie anschließend umso erstaunter darüber. Die Musik
garantiert darüber hinaus eine gewisse Glaubwürdigkeit der filmischen Charaktere,
indem sie es dem Zuschauer leicht ermöglicht, sich mit Eva zu identifizieren. Er
leidet mit ihr und empfindet Antipathie gegenüber der übermächtigen Mutter.
Insofern kommt der Musik hier auch eine affizierende Funktion zu, da Evas
Vortrag Affekte freigibt, die der Zuschauer automatisch auf Eva als auch auf
die Beziehung zu ihrer Mutter projiziert, denn beide werden jeweils im steten
Schuß-Gegenschuß-Verfahren während dieser Szene gegenübergestellt. Damit wird
die Musik »in actu« Teil der dargestellten fiktiven Welt. Was also durch die
Musik bereits ausgedrückt wurde, faßt Charlotte in Worte: »Das Prélude, das du
gespielt hast, ist ein Ausdruck von unterdrückten Schmerzen.« Was nun folgt, ist
eine psychologisch geradezu feinsinnige Studie über die subtile Feindseligkeit
der beiden Frauen. In der gewohnten Rolle
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