- 75 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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haben, Hände, Kopf und Füße im Gespräch bewegen (ebd., S. 110). Freedman unterscheidet dabei zwei Funktionssysteme. Das eine besteht aus objektbezogenen Gesten, das andere aus körperbezogenen Bewegungen.

Objektbezogene Gesten veranschaulicht Freedman am Beispiel eines zehn Jahre alten Kindes, das aufgefordert wird, eine Vase oder einen Hammer zu beschreiben: unweigerlich werden die verbalen Ausführungen körpersprachlich untermalt. Die objektbezogenen Gesten unterstützen das (innere) Bild des gemeinten Gegenstandes und intensivieren die Beziehung zur verbalen Kodierung, d. h. dem Wort, das den Gegenstand bezeichnet. Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass auch Erwachsene in dem Augenblick, wo ihnen ein Wort fehlt, in die Richtung des gemeinten Gegenstandes zeigen oder auf andere Art gestikulieren. Die sprachbegleitenden Bewegungen stützen die interne, mentale Repräsentation der Umwelt und stellen eine Brücke zu ihrer sprachlichen Kodierung dar. In der Beschreibung der objektbezogenen Bewegungen betont Freedman die rhythmische Natur derselben, indem er von einem »beat-like accompaniment« (ebd., S. 114) spricht, diese anhaltende, sprachbegleitende Bewegung erweitert die Grenzen des Vorstellungsvermögens. Menschen, deren Sprachverhalten reich ist an objektbezogenen Gesten, weisen erwiesenermaßen eine höhere Assoziationsfähigkeit auf, reagieren mit einer ausgedehnteren Vorstellungskraft auf angebotene Stimuli (ebd., S. 114). Auch hier ist festzuhalten, dass objektbezogene Gesten Bestandteil gesunden menschlichen Verhaltens sind. Freedman verweist auf die Tatsache, dass es Schizophrenen oder auch Personen, die an geriatrischen Erkrankungen leiden, an diesen Bewegungsformen mangelt (ebd., S. 115).

Körperbezogene Gesten sind beispielsweise zu beobachten, wenn ein Kind das Wort ›Rot‹ mit blauer Farbe geschrieben sieht und es die Farbe ungeachtet des geschriebenen Wortes nennen soll. Die Irritation dieser Aufgabe verursacht eine Form der Selbst-Berührung, die vorrangig Finger und Hände betrifft. Auch diese Bewegungen (wie etwa das Kinn oder die Stirn zu reiben, an den Fingern zu nesteln, Haare zu zwirbeln oder vieles mehr) sind gänzlich alltäglich. Die körperbezogenen Gesten unterstützen die Empfindung des eigenen Ichs in der Kommunikation und helfen, die Konzentration aufrecht zu erhalten. Freedman konnte in einer Studie zeigen, dass Personen, die bewusst einer feindlichen Gesprächsatmosphäre ausgesetzt werden, zu verstärkter Selbstberührung neigen (ebd., S. 116). Menschen in entspannten Situationen dagegen haben es weniger nötig, sich ihrer selbst zu versichern. Neben der oben dargestellten Feinabstimmung in der Kommunikation dient die beschriebene Verknüpfung von Sprache mit Gesten also zwei weiteren Zielen: Zum einen werden die Verbindung von äußerer Realität und innerer Repräsentation unterstützt, zum anderen das Ich-Bewusstsein und somit die Konzentration auf die Sache erhöht. Bemerkenswert ist, dass auch in diesem Zusammenhang die rhythmische Prägung der Gesten betont wird. Wenn Freedman von einem ›beat-like accompaniment‹ spricht, liegt hier der Gedanke an etwas wie einen Grundschlag in der Musik nahe.


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