Silbenmaß, also auf das Verhältnis der kleineren Einheiten. Vossius Kritik an
der mensuralen, mehrstimmigen Praxis geht so weit, dass er die Restitution
der antiken, einstimmigen Musik verlangt – und damit die Abschaffung der
Mehrstimmigkeit (vgl. Seidel 1993, S. 22f.). Nachfolgende Theoretiker definieren das
Begriffspaar Rhythmus/Metrum nun im Sinne Vossius’, Johann Gottfried Walther
beispielsweise umschreibt Rhythmus in seinem 1732 in Leipzig erschienenen
Musiklexikon »als die mus. Zahl, die in einem bestimmten Zeitraum gleich
bleibt. […] Er erklärt den Begriff als ein fortgesetztes Metrum. Ob Metrum
hier den Takt meint wie andernorts (Art.
Metrum) oder auf den antiken von
Vossius außer Kurs gesetzten Begriff anspielt, ist unklar.« (ebd., S. 23), dieses
Zitat mag auch für die Verwirrung der Begriffe stehen. Die Theorie Vossius‘
beeinflusst Johann Adolf Scheibe (1708–1776), Friedrich Wilhelm Marpurg
(1718–1795), Padre Giambattista Martini (1706–1784) und Johann Nicolaus Forkel
(1749–1818) (ebd.). »Im Grunde kehrt die musikalische Terminologie erst 1903,
mit Riemanns System, zur klassischen Terminologie zurück.« (Seidel 1998,
Sp. 289).
Neben der Begriffsvielfalt zum Thema Rhythmus/Metrum die in der oben
beschriebenen Epoche noch dazu in einer Definitions-Verdrehung gipfelt, bleibt die
Etablierung des Taktschemas mit den dazu gehörigen Akzenten hervorzuheben. Das
Prinzip, unterschiedliche Bewegung durch vielfältige Taktarten darzustellen, fand in der
Barockzeit zu einer Vervollkommnung. Für die heutige Musikausübung genauso wie für
die Rezeption bedeutet gerade die Orientierung an Takten einen spürbar leichteren
Zugang zu Werken ab dieser Zeit. Im Gegensatz zu barocken Werken erscheint
die noch mensural gedachte Musik fremd und ungewohnt, sie ist – außer für
musikwissenschaftlich in dieser Richtung Spezialisierte – in der Regel auch nur
durch Transkription in das moderne Notensystem durch einen Herausgeber
lesbar.
➢ | Charakteristisch für die rhythmische Prägung der Barockzeit ist die zentrale Rolle
innerer und äußerer Bewegung, die sich im Wechsel von Spannung und Entspannung
manifestiert. Musikalisch-rhythmisch kristallisiert sich dieser Sachverhalt in der
Rolle des Akzentes heraus. | |
3.2.5. Klassik und Romantik
Ebenmaß als Grundbedürfnis des Menschen
Schon in früheren Epochen gab es musikalische Gattungen, die sich durch ausgeprägte
Symmetrie auszeichneten, den Tanz beispielsweise oder das schlichte Lied. In der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts wird das absolute Ebenmaß auch in anderen Gattungen zum
Ideal. Und immer noch wird auf die antiken Theorien zurückgegriffen: deren
Menschenbild nimmt an, dass der Sinn für das Rhythmische dem Menschen angeboren
ist. Eben in diesem Menschenbild liegt der Anknüpfungspunkt, nicht im Aufbau
theoretischer Systeme oder Terminologien. »Die Rhythmustheorien des 18. und 19. Jh.
zielen aufs Anthropologische, enden aber im Humanistischen.« (Seidel 1976,
S. 85f.).