nachzuspüren, sind die
Kompositionen selber ein Stück weit befreit von der kognitiven Überhöhung des
Mensuralsystems.
➢ | In der Renaissancezeit findet eine Wendung vom ›Göttlichen zum Menschlichen‹
statt, indem die Dreizeitigkeit (zugunsten einer körperorientierteren Zweizeitigkeit)
an Bedeutung verliert. | |
3.2.4. Die Barockzeit
In der Barockzeit geht das mensurale System allmählich in das moderne Taktsystem
über, lange noch existieren vielfältige rhythmische Erscheinungsformen nebeneinander
(zur historischen Entwicklung des Taktes vgl. auch Benary 1967, S. 33ff.). Der
Taktstrich tritt wo er erscheint zunächst unregelmäßig auf. Der Begriff Takt meint
immer noch das Auf und Ab der Hand des Leitenden. Gerade und ungerade
Takte werden nun als gleichwertig angesehen, die Bevorzugung der Dreizeitigkeit
endet (vgl. Seidel 1998, Sp. 279). Der Takt proportioniert die musikalische
Bewegung und er »löst […] die Musik aus der offenen, natürlichen Zeit heraus.
Sie ereignet sich in einem rhythmisch disponierten geschlossenen Zeitraum, in
dem immer gleichen Raum, den der Takt aus der offenen Zeit ausgrenzt. Das
verschafft ihr die ästhetische Qualität des Zeitvertreibs« (Seidel 1998, Sp. 286). Mit
der Etablierung des Schemas entsteht gleichzeitig dessen Flexibilisierung mit
Hilfe der Melodieführung, auch unter Einsatz von Synkopen oder Hemiolen
(ebd.).
Innere Bewegung – äußere Bewegung
Charakteristisches Kennzeichen der Epoche ist ihre Vielfalt an Taktarten (vollständige
Darstellung bei Seidel 1976, S. 78f.; 1998, Sp. 287; vgl. auch Henneberg 1974, S. 22ff.
oder Benary 1967, S. 47ff.), diese sind gleichzeitig ein Spiegel unterschiedlicher
Bewegungsmöglichkeiten:
Da die Taktarten Bewegungsmodi anzeigen, konnte man weithin darauf
verzichten, das Tempo durch wörtliche Anweisungen zu präzisieren. Danach
verlangten am ehesten der 4 4-Takt und der 4 3-Takt, die unbestimmten,
vieldeutigen Taktarten, die im Zentrum des Systems stehen (Seidel 1998,
Sp. 288).
Die Tatsache, dass die Bewegung in den Blickpunkt der barocken Musik gerückt ist,
spiegelt sich auch in den schriftlichen Aussagen. Marin Mersenne stellt in seiner
»Harmonie universelle«, erschienen Paris 1636–37, diesen Aspekt in das Zentrum seiner
Betrachtung des Rhythmus. Trotz Wiederholung der aristoxenischen Definition vom
System der Zeiten benennt er konkret die musikalische Bewegung, ihre Abfolge und
Mischung als entscheidend. Darüber hinaus widmet Mersenne besonders auch der
Auswirkung von rhythmischer Bewegung auf den Menschen, »innere Bewegungen,
Leidenschaften, zu unterhalten, zu vermehren, zu mindern und zu beruhigen« seine
Aufmerksamkeit (Seidel 1993, S. 19).
Akzente
Als weitere Neuerung schildert Athanasius Kircher in seinem Werk »Musurgia
universalis«, Rom 1650, Kapitel ›De Rhythmo eiusque accentu‹, den Akzent. Seine