- 97 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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7.  Schlussbetrachtung und Ausblick

Klassische Musik fungierte zu Mozarts Lebzeiten in Wien als eine Art verbindendes Element zwischen den unterschiedlichen Ständen, wie der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher berichtet.1

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Vgl. Finscher (1996) 235.
Diese Funktion scheint bei ihrem Einsatz am Hamburger Hauptbahnhof – wo sie in Verruf geraten ist, ein Vertreibungsinstrument unliebsamer Randgruppen zu sein – ins Gegenteil verkehrt. Wie gezeigt wurde, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Beschallung wirklich eine nennenswerte Rolle bei der Vertreibung der Junkies vom Hachmannplatz gespielt hat. Plausibler erscheint es, dass sie – als akustisches Zeichen – anderen Gruppen, die nicht ins Bild eines »sauberen Bahnhofs« passen wollen (z. B. Obdachlosen), signalisiert: »Hier gehöre ich nicht hin.« Solch eine Wirkungsweise rückt die Musikbeschallung in die Nähe von Videoüberwachungen, die gleichfalls eine Subjektivierung bewirken, indem sie – als sichtbares Zeichen – die Überwachten zur Selbstkontrolle des eigenen Verhaltens aufruft.2
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Vgl. auch Krasmann (2002).
Tatsächlich ist am Bahnhofsvorplatz ein Korrelieren der Musikbeschallung mit der Verschärfung diverser weiterer »Ordnungsmaßnahmen« festgestellt worden (Kapitel 3.3). Hier wird ein Zusammenhang vermutet. So erscheint es für weitere Arbeiten auf diesem Gebiet lohnenswerter – anstatt zu versuchen, der wohl eher subtilen Wirkung z. B. durch Befragungen auf die Spur zu kommen – in einer vergleichenden Untersuchung mehrerer beschallter öffentlicher Orte einen Zusammenhang zwischen Musikbeschallung und (z. B.) Videoüberwachung zu überprüfen. Über die tatsächliche »Effizienz« der Beschallung am Hamburger Hauptbahnhof kann letztlich nur spekuliert werden, sie lässt sich kaum aus den anderen Maßnahmen »herausdividieren«. Das eigentliche Thema ist dabei ohnehin weniger die spezifische Rolle, die der Musik dabei zukommt, sondern Ausgrenzung und Kriminalisierung unliebsamer Personen in urbanen öffentlichen Räumen als ein ganz reales Phänomen, das sich auch in vielen anderen westlichen Industrienationen beobachten lässt.3
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Dies ist natürlich Vgl. auch Body-Gendrot (2000), Grossberg (2000) 206–230, Ludwig-Mayerhofer (2000), Peters (2000).
Trotzdem ist z. B. in vielen Zeitungsartikeln meist nur von der Musik selbst die Rede. So zeigt sich auch: die Klassik-Beschallung »verschönert« nicht nur die beschallten Räume, sondern sie »beschönigt« auch die Diskussion. Auf dieser Ebene vermag sie viel stärker von der Realität abzulenken als bei ihrem konkreten Einsatz vor Ort, womit die in Kapitel 4.4.1 (unter Vorbehalt) zitierte Kritik Adornos – an einem ideologisch geprägten Umgang mit Musik – hier doch wieder einige Relevanz gewinnt.

Jegliche öffentlichen Spekulationen über die Wirksamkeit der Musik als ein probates Mittel sozialer Kontrolle sind letztlich auch kostenlose Marketingmaßnahmen für die Anbieter funktioneller Hintergrundmusik, in diesem Falle die Firma Muzak.

Die Beschallung ist auch Ausdruck einer Vereinheitlichung der Lautsphären, denn der »Klang« von Bahnhofsvorplatz und U-Bahn-Stationen ist ähnlicher geworden.


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