des Vorwurfs eines
elitären intellektuellen Blickwinkels, sondern versperrt möglicherweise schlicht die Sicht
auf die Realität. Musik wird heute zu einem Großteil eher aus Entspannungsgründen
gehört.104
So ist es fraglos möglich, sich beim flüchtigen Durchschreiten einer Tunnelhaltestelle
etwa an Schumanns Träumerei zu erfreuen. Und doch wurde sie nicht für diesen Anlass
komponiert. Klassische Musik eignet sich nur dann für einen Einsatz als Hintergrundmusik,
wenn sie nach einem Selektionsprozess – ihrem ursprünglichen Werkszusammenhang
entrissen – als nicht genau zu ortendes Schallereignis in geringer Lautstärke dargeboten
wird.105
Demgegenüber stehen ästhetische Ansätze die genuin intendieren, das Verhältnis von
Musik und Umwelt auszuloten bzw. einen »klanglichen Raum« auszugestalten.
»Was ziehen Sie vor: Musik oder
Wurstwaren?«106
notierte Erik Satie (1866–1925) einmal. Satie und sein vergleichsweise »kleines«
Gesamtwerk entziehen sich auch heute noch einer vollends gesicherten Interpretation.
Das Absurde und Ironische (als Titel oder Spielanweisungen in den Partituren
bzw. in seinen vielen überlieferten Aufzeichnungen) war ein bevorzugtes
Mittel des Komponisten, die Beziehung zwischen Klang und Bedeutung zu
entflechten107
Vgl. Wehmeyer (1974) 106ff.
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und einen »freien« Blick auf eine »musique pure«, eine »reine Musik« zu ermöglichen.
Einige seiner Kompositionen zieren Titel wie »Drei schlaffe Präludien für einen Hund«
oder »Drei ausgezeichnete Walzer von köstlicher Geschmacklosigkeit«. Kurz nach Saties
Tod schrieb der ihm eng verbundene Jean Cocteau in seinem Nachruf mit dem Titel
»Das Vorbild Erik Saties«:
»Die Liebe zum Spiegelbild im Wasser ist eine der Untugenden Frankreichs;
sie wirft die echte Form zurück. Aus Furcht, von einem zufälligen und dem
Narzissmus verwandten Charme zu profitieren, schnitt mein alter Meister
Grimassen. Eine ausgezeichnete Methode, die gegen unachtsame Verehrer
schützt.«108
Jean Cocteaus Nachruf auf Satie, zit. in Wehmeier (1974) 219.
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In der Tat war Satie nie der Anführer einer bestimmten Bewegung, auch wenn man in sein Werk
Anklänge an so unterschiedliche Strömungen wie Symbolismus, Kubismus, Neoklassizismus,
Dadaismus, Surrealismus, Concept Art oder bereits einen »Postmodernismus« hineinlesen
mag.109
In Saties Werk finden sich einige Ansätze, die bereits der Minimal Music ähneln (z. B.
das nur zwei Zeilen lange Vexations, mit der gnadenlosen Spielanweisung einer
840maligen Wiederholung) und viele Einflüsse aus der sog. »Alltagsmusik«: Kabarett-
und Zirkusmusik, Schlager, Ragtime, Kinder- und Studentenlieder, etc. Er schuf als
Pionier einer »entwicklungslosen« Musik (mit bezugsloser Harmonik) »Klangbänder«,
die einfach nebeneinander standen. Dabei fand eine »entrückte«, impressionistische
Ästhetik ebenso seinen Spott, wie der zeitgenössische Spätromantizismus, von
dem sich die französische Musik noch nicht gänzlich befreit hatte. In diesem
Zusammenhang ist vor allem seine Idee einer »Musique d’Ameublement« von Interesse.
Oft wurden große Teile seines Gesamtwerks als solch eine »Mobiliarmusik«
begriffen.110
Tatsächlich eignen sich viele Werke Saties für den Einsatz als Hintergrundmusik. Vgl. z. B. die
Nutzung der ersten der Trois Gymnopèdies in der Werbung oder auch die CD-Kompilation:
»Chill with Satie«, Naxos 2003.
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Doch taucht dieser Ausdruck bei Satie selbst nur in Zusammenhang mit einem
experimentellen Konzert
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