1. Einleitung
1.1. Anliegen und Ziele dieser Arbeit
»Hamburg Hauptbahnhof.
Mit ihrer schmuddeligen weiß-grauen Sanitärkachelung strahlen die Röhren
der darunterliegenden U-Bahn Station Hauptbahnhof Nord die Atmosphäre
einer öffentlichen Bedürfnisanstalt aus. (...) Ortsfremde fragen regelmäßig
und ungläubig nach, ob sie tatsächlich hier auszusteigen hätten, um ihren
Fernzug zu erreichen. Untergrund im Hauptbahnhof Nord. Knotenpunkt des
ÖPV (Öffentlicher Personen Verkehr) und ÖPNV (Öffentlicher Personen
Nah Verkehr), tägliche Durchgangs- oder Umsteigestation der Immerselben
auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte; aufgrund des Bahnhofs
darüber auch einer großen Anzahl Fremder; Reisende, Geschäftsleute,
Touristen. Aber – keine Spur von Knotenpunkt. Eher Rückzugsgebiet
besonders scheuer Junkies, die sich in die unterirdischen Gänge zurückziehen,
weg vom Präsentierteller des am oberen Ende der langen Rolltreppe
liegenden Hachmannplatzes, dem zentralen öffentlichen Kommunikations-
und Handelsraum der Hamburger Drogen- und Drogenstrichszene, den
jeder Fahrgast auf dem Weg zwischen U- und Fernbahn zu überqueren
hat«1
Könnecke (1994) 13; Könnecke war 1994 Leiter der Hamburger Kulturbehörde.
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So beschreibt Achim Könnecke 1994 Atmosphäre und architektonische
Gegebenheiten der U-Bahn-Station Hauptbahnhof Nord in einem von der
Hamburger Kulturbehörde in Auftrag gegebenen Begleitband zur gleichnamigen
Skulptur2
Die Skulptur wurde verwirklicht von Stephan Huber und Raimund Kummer mit Mitteln des
Projektes »Kunst im öffentlichen Raum« der Hamburger Kulturbehörde.
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,
die in einer von zwei stillgelegten (bzw. seit Fertigstellung 1968 nie genutzten) Röhren
des U-Bahnhofs installiert wurde. Die Station Hauptbahnhof Nord fungierte damit nicht
zum ersten Mal als Ort künstlerischer Inspiration – 1986 etwa war sie bereits
Installationsort einer Fotoarbeit von Astrid Klein, bezeichnenderweise betitelt mit
»Endzeitgefühle«. Trotz einiger Bemühungen der Hamburger Hochbahn, die
U-Bahn-Station freundlicher zu gestalten (Aluminiumfassade, Designerlampen, etc.), hat
der oben geschilderte Eindruck nahezu unverändert auch heute noch Gültigkeit – mit
einer Ausnahme jedoch: aus Lautsprechern schallt den Fahrgästen seit Juli 1998
»klassische«3
Klassik wird zunächst nicht als Bezeichnung der musikhistorischen Periode »Klassik« sondern
im umgangssprachlichen Sinne gebraucht. D. h. die Bezeichnung schließt die Epochen
Barock und Romantik mit ein. Am Hamburger Hauptbahnhof erklingen darüber hinaus auch
konzertante historisierende Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Genauer beschrieben wird
das Beschallungsrepertoire in Kapitel 6.2.1.
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Musik entgegen. Und das nicht nur dort: Zunächst fand die Musik einen Weg an
die Oberfläche, breitete sich am Bahnhofsvorplatz (Hachmannplatz) aus, um
in den folgenden Jahren zum architektonischen Bestandteil einer Reihe von
weiteren U-Bahn Stationen in Hamburg zu werden. Bekanntheit erlangt hat
die Musikbeschallung vor allem deshalb, weil Teile der beschallten Bereiche
als einschlägige Aufenthaltsorte von Rauschgiftabhängigen, Dealern sowie
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