Dieses Kapitel führt beispielhaft in die Geschichte der Medialisierung der
Musik ein und
stellt die Implikationen von technischen Medien und Musik als Problemfeld
vor. Unter der Fragestellung, Abbild oder produktive Distanz, wird zunächst
das Verhältnis von Original und technischer Reproduktion diskutiert. In dem
darauf folgenden Abschnitt werden exemplarisch künstlerische Strategien der
(Re-)Produktion1
1 Im Zusammenhang mit den bewußten Klebeoperationen in der künstlerischen
Nutzung des Mediums Tonband durch den kanadischen Pianisten Glenn Gould,
spricht Rolf Grossman von (Re-)Produktionsmedien. Vgl. Großmann (1999, S.
317).
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beschrieben, die die technischen Medien bewußt in den Herstellungsprozess von Musik
mit einbeziehen. Beide Abschnitte schließen jeweils mit einer Zusammenfassung.
2.1. Original und technische Reproduktion – Abbild oder produktive Distanz?
Der Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit, die zuerst Walter Benjamin im Jahr 1936 gestellt
hat.2
Dementsprechend werden in diesem Abschnitt die Thesen Benjamins zum Verhältnis des
Originals zu seiner technischen Reproduktion vorgestellt. In einer Musik- und
Medienpraxis, die von der ersten Musikaufnahme Mary Had A Little Lamb im Jahr 1877,
gesungen von Thomas Alva Edison, bis zu den ›Soundtüfteleien‹ der aktuellen
Disk- und Datajockeys reicht, hat sich ein neues Medienverständnis entwickelt:
Reproduktionsmedien sind nicht unbeteiligte, technische Kanäle zwischen Sender und
Empfänger sondern Instanzen mit produktiven Potentialen. Folgt man dieser These,
stellt sich auch die Frage nach Benjamins Aura in den (Re-)Produktionsmedien heute
neu.
2.1.1. Original und Aura im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
Zwischen Mensch und Musik hat sich eine »Zwischenwelt der maschinellen
Dinge«3 eingerichtet, die auch
die Differenz zwischen Original4
4 Der Begriff »Original« geht gem. Luhmann in der europäischen Kultur auf eine
literarische Tradition zurück, die sich bis auf das Buch Conjectures on original
composition von Edward Young aus dem Jahr 1759 zurückverfolgen läßt.
Originalität
gilt als menschlicher Wert, während Kopieren eher als wertlose Imitation begriffen wird.
In Folge dieser Auffassung entstand im 19. Jahrhundert der Geniebegriff. Vgl. Baecker
(Hg.) (1987b, S. 51f).
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und technischer Reproduktion markiert. Originalität oder Echtheit ist mit Walter Benjamin
einem Kunstwerk zuzuschreiben, wenn es ein »einmaliges Dasein [führt] an dem Orte, an dem es
sich befindet«5
5 Benjamin (1963, S. 11).
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wo sich das »Hier und Jetzt des Originals« exklusiv entfaltet. Das Original fungiert als
geschichtlicher Zeuge. Es stellt den Nullpunkt, den Ursprung auf einer Zeitachse dar, an
deren Ordinate die sozialen und kulturellen Zuschreibungen (Traditionen und Rituale)
ablesbar werden, die in der Summe die Aura und die Autorität
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