Eine Musik in/mit den (Re-)Produktionsmedien, wie sie im vorherigen Kapitel
dargestellt wurde, wirft aus wissenschaftlicher Perspektive Fragen nach Methoden und
Modellbildungen für theoretische Beobachtungen auf. Dieses Kapitel soll einen Überblick
über den Stand der musikwissenschaftlichen und medientheoretischen Diskurse
vermitteln und den hier vorgeschlagenen neuen, systemtheoretischen Zugriff auf den
Gegenstand erläutern.
3.1. Musiktheorie
Medienästhetische Phänomene in der Musik fallen durch das Raster der
Allgemeinen
Musiklehre.1
Sie stehen quer zu den klassischen Disziplinen der systematischen
Musikwissenschaften.2
Medienmusik wird in der aktuellen musikwissenschaftlichen Literatur – wenn überhaupt
– bisher nur punktuell behandelt. Die musikwissenschaftlichen Diskurse zu diesem
Thema kreisen überwiegend um eine Dichotomie von Musik und Technik. Analysiert
werden dabei häufig die Einflüsse des Technischen als etwas ›Künstliches‹, das einer
»natürlichen«3
3 Blaukopf unterscheidet z.B. mit dem Informationstheoretiker Abraham Moles
zwischen natürlicher und technischer Kommunikation. Blaukopf (1982, a.a.O., S.
259).
|
,
scheinbar ursprünglichen (Konzert)Musik zugefügt wird. Die
Differenz zwischen technisch-künstlichem und natürlichem
Übertragungsweg4
von Musik ist bereits 1930 beschrieben worden. Der Autor, Bernhard Winzheimer,
kommt zu der Feststellung,
»daß das musikalische Kunstwerk einem Lautsprecher entströmend, aus vielerlei
Gründen nicht mehr dasselbe ist, wie es unter den Händen des Künstlers
entstand und daß eine reichliche Scheidung geboten ist zwischen Musik als
Kunst und jener Übertragungsmusik, die unter anderen Gegebenheiten und
Zielsetzungen ihren Hörerkreis sucht und findet.«5
5 Winzheimer (1930, S. 3f), zitiert nach: Blaukopf (1982, S. 245 f).
|
Die Transformationsprozesse von der Aufnahme einer ›natürlichen‹
Musik bis
zur Wiedergabe als ›künstliche‹ Musik läßt sich mit Kurt Blaukopf auf drei
Ebenen beschreiben: Die akustische Disposition des Aufnahmeraums, die
Veränderungen der raumakustischen Merkmale im technischen Bereich des
künstlichen Kanals und die akustische Charakteristik des Wiedergaberaums. Musik
aber war immer schon ›künstlich‹, mit den Technologien ihrer Erzeugung eng
verbunden.6
6 Vgl. hierzu etwa Kittler (1997); oder das Kapitel »Musikgeschichte als
Technikgeschichte«
in Schläbitz (1997).
|
|