Blieben
die vorherigen Überlegungen über die „erzeugende“ Wirkung
des Chopin-Akkordes als Erfindungskeim (und damit korrelierend die Konstruktion
von Einheit) bisher auf Haupt- und Seitenthema (den Epilog eingeschlossen)
beschränkt, so sei nun sein generierendes bzw. einheitsstiftendes Moment
an Figuren gezeigt, die jenen Formabschnitten angehören, die in der Literatur
eher unter dem Aspekt der Überleitung oder – gleichfalls subordinierend
– als Spielfiguren-Passagen gesehen werden, obwohl sie unter dem Aspekt
der Narration gleiches ästhetisches Recht beanspruchen wie die thematischen
Partien und überdies Aspekte thematischen Arbeitens aufweisen. Die prominentesten
Beziehungen sind jene zwischen dem Hauptthema und seiner mittelbar abgeleiteten
Fortsetzung Takt 36 ff. sowie jene zwischen ihm und der Spielfigur Takt 48
ff. Bei ersterer ist der Bezug auf den Akkord eher mittelbar, sie wird an
späterer Stelle in anderem Zusammenhang ausführlicher betrachtet,
bei letzterer sei hier lediglich eine zusätzliche Bemerkung, den genetischen
Aspekt betreffend, angeführt.
Notenbeispiel
12
![](.././Henning_crop page 114_html_7ce3a733.gif)
Neil
David Witten beispielsweise diskutiert im Kontext dieser Figur insbesondere
deren Sekundvorhalte, die er in einen größeren Motivplan der Ballade
einordnet44
44 The
Chopin ‘Ballades’: an analytical study, Diss. Boston
University, Boston 1979, S. 49.
|
(wozu ebenfalls weiter unten
noch einiges auszuführen ist). Unterm genetischen Aspekt läßt
sich hinzufügen, daß hier wiederum dieselbe Konstellation vorliegt,
wie beim Seitenthema selbst: Chopin-Akkord und sog. Viertonmodell, letzteres
in der Form der „unvollständigen Brechung“45
45 Vgl. weiter oben S. 105 ff., insbesondere
Anm. 31; ferner dazu vom Verfasser, Frédéric Chopin...,
a. a. O. (s. Anm. 16), S. 154 f. Die Figur mündet in Takt 56 in
Passagen (mit zweitaktiger, ab Takt 62 mit eintaktiger Periode), deren
Kopf vom Viertonmodell in „vollständiger Brechung“
bestimmt ist. Der Übergang von der unvollständigen zur vollständigen
Brechung (Takt 55 nach 56) findet in derselben Lage statt und ist gewissermaßen
auskomponiert. Daneben kommen in der Ballade noch weitere Anwendungen
des vollständig gebrochenen Modells als Figuration vor, etwa Takt
126 ff. (mit vergleichbarem Anschluß an das Vorherige und einer
ebenfalls auf das Modell beziehbaren Fortführung in Takt 130 ff.,
deren „symmetrischer“ harmonischer Aufbau von Emmanuel Amiot
[Pour en finir avec ‘le Désire’. La
notion de symétrie en analyse musicale,
in: Analyse Musicale, 7. Jg. (1991), Nr. 22 (1) (Feb.),
S. 92] untersucht wurde), in Takt 150 ff. (vgl. dazu auch weiter unten,
S. 120 ff.) oder in Takt 156 f. (mit einer spezifisch pianistischen
Verknüpfung der Figuren durch Tonwiederholung; vgl. dazu vom Verfasser,
a. a. O., S. 147 f.).
|
, womit über den bloßen
Sekundvorhalt
|