geben,
sondern die Kunst überhaupt zu benutzen, um Sinn im Widersinn aufscheinen zu
lassen.
Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass speziell die »absolute« Musik, wie
sie im Laufe des 19. Jahrhunderts genannt wird, dies noch viel besser kann.
Was Kant auf eine Stufe mit »Laubwerk zu Einfassungen« und Papiertapeten
gestellt11
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Akademie-Ausgabe Bd. 5, Berlin 1908, S. 229.
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was Hegel als »leer, bedeutungslos« und »nicht eigentlich zur Kunst« gehörig apostrophiert
hatte
12
Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über Ästhetik, hg. von F. Bassenge, Frankfurt
a. M. o. J., Bd. 2, S. 271.
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wird in der Romantik zum Sinnbild des sich selbst feiernden Geistes, zur jeweils
einzigartigen und unwiederholbaren Schöpfung des zum Gott gewordenen Menschen.
Auch wenn wir diese im 19. Jahrhundert weit verbreitete Auffassung als hypotroph
ansehen und ihr vordergründig keinen Geschmack abgewinnen können, werden wir sie
nicht los: Sie gehört zur neuzeitlichen Episteme: Weshalb werden die so genannten
»großen Meisterwerke« als Kanon europäischer Musikkultur immer wieder aufgeführt?
Sie dienen der Selbstverständigung über bleibende Werte, sind die Bibel des Gebildeten.
Selbst in der relativierenden Dialektik von Theodor W. Adorno, derzufolge in klassischer
Musik »Emanzipation vom Mythos und Versöhnung mit diesem« erfahrbar
sei13
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt a. M. 1970,
S. 316.
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wird die Affinität von Musik und Mythos nicht bestritten. Ich selbst leugne nicht, dass
ich bestimmte, mir lieb gewordene Werke des klassischen Musikrepertoires gelegentlich
an mir vorüberziehen sehe wie die Himmelsgestirne in ihren Bahnen – übrigens eine
Metapher, die den vorbehaltlosen Beifall des Strukturalisten Lévi-Strauss finden
würde.
Auch das vermeintlich interesselose Analysieren autonomer Strukturen ist ,Arbeit am
Mythos‘ – am Mythos der selbstbezüglichen Musik als Hypostasierung des mündigen
Subjekts, das sich sein Gesetz selbst gibt. Niemand wird etwas gegen solches Analysieren
einzuwenden haben – schon gar nicht gegen die Entdeckerfreuden, die entstehen können,
wenn man Gehörtes und Erlebtes mit Termini wie »Quintschrittsequenz« und
»Sonatenrondo« belegen oder kompositorische Strategien in womöglich noch
feineren Nuancen nachzeichnen kann. Doch eines muss deutlich sein: Aus einer
Musikbetrachtung, welche diesen Namen verdient, ist der phänomenologische
Aspekt nicht herauszuhalten, welcher – mit Edmund Husserl zu sprechen – die
»Eigentümlichkeit des intentionalen Erlebnisses«, das »Bewußtsein von etwas« in Blick
hat14
Edmund Husserl, Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, in: Husserliana.
Gesammelte Werke Bd. 3, 1, Den Haag 1976, S. 200.
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Und ich erwähne in diesem Zusammenhang Husserls Phänomenologie, um deutlich zu
machen, dass es mir keineswegs um die platte Alternative Form-Inhalt,
autonom-heteronom