- 82 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Die Berliner Aufführungen verbargen die Musiker und den Dirigenten hinter zwei schwarzen Stellwänden, zwischen denen eine Lücke für die Auf- und Abgänge, aber auch Aktionen der Protagonistin gelassen war, die im Pierrot-Kostüm auftrat. Auch dieser quasi-Bayreuth-Effekt des Verbergens der Kunstmittel dürfte Stravinskij ziemlich enttäuscht haben.
In den Dialogen Stravinskij/Craft, 1968 publiziert, bringt Igor seine Eindrücke unverblümt auf den Punkt (ich übersetze): Albertine Zehme, die »Sprechstimmen«-Künstlerin, trug ein Pierrot-Kostüm und begleitete ihre epiglottalen Sounds mit einer schmalen Andeutung von Pantomime. Daran erinnere ich mich, und auch an die Tatsache, dass die Musiker hinter einem Vorhang platziert waren, aber ich war zu beschäftigt mit einer Partitur-Kopie, die mir Schönberg gegeben hatte, um irgendetwas anderes wirklich zu bemerken. Ich erinnere mich auch, dass die Zuhörer still und aufmerksam waren, und dass ich wünschte, auch Frau Zehme möge still sein, damit ich die Musik hören könne.

Ein wunderbarer Zufall der Musikgeschichte: Kurz vor der Pierrot-Aufführung hatte Stravinskij noch – mit Schönberg zusammen – seine Version von jenem Commedia del’arte-Nachkommen, der sich (französisch, deutsch und russisch) Pierrot, Peterchen oder Jahrmarkt-Petrushka nennen konnte, in der Aufführung der Ballets Russes in Berlin erlebt – und Schönberg war sehr angetan davon, obwohl hier die Kunstmittel radikal offen gelegt und auch schon verfremdet werden.

Schönbergs kritischer Schüler Hanns Eisler schrieb: Es ist ein Jammer, dass der Text zum Pierrot lunaire, einer der brillantesten Kompositionen Schönbergs, eine schwache Kopie Verlaines von einem drittklassigen belgischen Poeten, Albert Giraud, ist, noch dazu übersetzt von Otto Erich Hartleben. Für Schönberg war leider die Wahl des Textes nichts Entscheidendes. Text war für ihn Anlass zum Musizieren.

Und, an anderer Stelle: Die alberne Provinzdämonik Girauds wirkt durch die übertriebene, sich einfühlende Vortragsart der Sprechstimme, die Schönberg rhythmisch fixiert hat und verlangt, peinlich und lenkt von der Musik ab. Ich habe Schönberg öfters vorgeschlagen, den Text wegzulassen, um die großartige Musik als »Charakterstücke« zu retten. Er war mit diesem Vorschlag nicht einverstanden.

Eisler, Stravinskij und Thomas Mann haben offensichtlich auch in Los Angeles (im Exil) über den Pierrot debattiert, denn Igor erinnert sich (ich paraphrasiere), den Vorschlag gemacht zu haben, eine Platte ohne die Singstimme aufzunehmen, so dass der Käufer bei Bedarf im (wörtlich) »Do-it-yourself«-Verfahren die « ululations »(das »Geheule«) hinzufügen könne.

Auf Eislers kompositorische Reaktionen auf den Pierrot werde ich später noch eingehen.

Für die dreimal sieben Melodramen notierte Schönberg die Tonhöhen des Sprech- und Singtonfalls als Annäherungswert. Aus heutiger Sicht darf nicht


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