80er Jahre betriebene Tangokultur scheint sich in
den 90er Jahren etwas ausgeweitet zu haben: Studenten beteiligen sich, die klassischen
Gesellschaftstanzschulen bieten ebenfalls das argentinische Tangotanzen an. Aber auch
Original-Argentinier – wie in der Zeit vor und nach dem 1. Weltkrieg – nutzen diesen
kleinen Boom, als Tanzlehrer/-innen oder als Musiker/-innen. Argentinien reussiert
wieder einmal als Land der Tangosehnsucht.
Und sein Tango nuevo demonstriert tatsächlich in hohem Maß, wie eine Musik »von
unten« im Laufe des 20. Jahrhunderts vielfältige Einflüsse aus den Entwicklungen der
musikalischen Kunstmusik-Avantgarde, der Popmusik und des Jazz aufnehmen und
verarbeiten kann. Eine Musik, die trotz aller Neuerungen gegenüber dem klassischen
Tango – wie etwa Improvisation (manchmal sogar jazzidiomatisch), Geräusch-
und Clustertechniken, Polyphonie und kontrastreicher Formdramaturgie – in
ihren modernistischen Klängen noch immer die alte, erotisch-pathetische große
Tango-Gefühlsgeste ausstrahlt und ganz altmodisch als »schön« empfunden werden kann
– bei aller gelegentlichen Nähe zu Schwulst und Kitsch.
In diesem Beitrag geht es darum, an einige Beispielen – sicher
nicht repräsentativ – filmische Präsentationsformen dieses
»Körpergebets«38
Vgl. Heinz Pollack, Die Revolution des Gesellschaftstanzes, Dresden 1922, S. 19 f.
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Tango zu diskutieren. Ausklammern möchte ich dabei die prominenten »Tangofilme« der
80er und 90er Jahre, etwa TANGOS – DAS EXIL GARDELS (F. E. Solanas, ARG/F
1985), SUR (F. E. Solanas, ARG 1988), TANGO LESSON (S. Potter, GB 1997) und
TANGO (C. Saura 1997). Der Grund: diese Filme scheinen bei aller Kritik aus der
Tangoszene selbst (vor allem bei Potter und Saura) den Werten der europäischen
Tango-Subkultur verpflichtet, greifen ihre Konzeptionen von Kontexten auf, von
Rollenbildern und auch Legenden; ihre musikalischen Schwerpunkte kreisen um den
Tango nuevo, insbesondere von Piazzolla, aber auch die argentinische Tangotradition
wird einbezogen. Die Schönheit des Tangotanzens wird gefeiert, ihr Bild von
Leidenschaftlichkeit nachgeahmt und auch die politischen Bezüge von Exil und
Widerstand gegen die Militärdiktatur wahrgenommen.
Unter zwei Perspektiven will ich Visualisierungen von Tangos bzw. Filmsequenzen, die
Tangomusik benutzen, untersuchen: einmal in Werbeclips, die für das TV-Massenpublikum
hergestellt sind und vielleicht Hinweise geben können über die in der breiten
Zuschauermasse vermuteten Tangoaffinitäten; dann in Spielfilmen, die naturgemäß einen
kleineren Publikumskreis, nämlich die Kinoliebhaber, interessieren. Hierbei geht
es um die Spannbreite der Tango-Nutzungen, um die Unterschiedlichkeit der
Kontextualisierungen.