- 30 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Um die Jahrhundertmitte war Lefébure der berühmteste französische Organist und wurde von Cavaillé-Coll regelmäßig für die Einweihungen seiner großen Orgeln verpflichtet, wobei er das Publikum immer wieder durch Improvisationen mit effektvoller Behandlung der modernen instrumentalen Möglichkeiten begeisterte. Dabei wurden vor allem Gewitterszenen und andere illustrative Darbietungen bewundert.

Dieser »mondäne« Orgelstil fand bei den Zeitgenossen durchaus auch Kritik. 1856 spielte Lefébure ein Konzert zur Einweihung der Cavaillé-Coll-Orgel in der Kirche Saint-Nicolas im belgischen Gent3

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J. P. Félix, Autour de l’inauguration par Lefébure-Wely, de l’orgue Cavaillé-Coll de l’église St-Nicolas à Gand en 1856, in: L’Organiste 25, 1992/93, S. 15 ff., danach auch alle Zitate.
, worüber der Messager de Gand folgendermaßen berichtete: Der Stil des Pariser Organisten unterscheidet sich wesentlich vom deutschen Stil: Er hat weniger religiöse Düsterkeit, klassische Ernsthaftigkeit, musikalische Symmetrie als die Virtuosen, die sich auf die Traditionen und Prinzipien der deutsche Schule beziehen, zum Ausgleich hat er dafür mehr Verve und Kolorit, sozusagen mehr populäre Eloquenz. [...] Indem er den großen Meistern aus Deutschland den fugierten Stil überlässt, entspricht er den Instinkten und den sinnlichen Bedürfnissen seines Publikums. Mit einem Wort: Er bemüht sich, zu gefallen, und er hat damit Erfolg. Dies wurde bewiesen durch den begeisterten Applaus und die unaufhörlichen Bravo-Rufe, die [...] vor allem dem Gewitter galten. Die Organisatoren des Konzerts verdienen hier eine Würdigung für den Einfall, das Gaslicht während des Gewitters zu dämpfen. Dieses Detail der Inszenierung hat zur Illusion nur beigetragen.

Diese Elogen provozierten François-Joseph Fétis zu einer polemischen Entgegnung mit dem Titel L’orgue mondaine et la musique érotique à l’église. Dem »erotischen« Orgelstil, der auf die »sinnlichen Instinkte« zielt, setzt Fétis eine religiöse Musik gegenüber, die sich nicht an den « sensualisme »richtet, sondern an das religiöse « sentiment », « l’antipode du sensualisme ». Ein »würdiges und feierliches Präludium, gespielt auf den Grundstimmen der Orgel als Einleitung eines sehr majestätischen Gesangs des ,Tantum ergo‘ ist es, das die Seele mit einem reinen und religiösen Gefühl durchdringt«. Diese Ästhetik wird zurückgeführt auf die großen katholischen Organisten des 17. Jahrhunderts: Frescobaldi, Froberger und Kerll, und auf den « grand style »Bachs und seiner »besseren« Schüler Krebs und Kittel.

1843 hatte Lefébure die Sängerin Josephine Thérèse Court geheiratet, der unter anderem die berühmte Sérénade nach Victor Hugo von Charles Gounod gewidmet ist. Seine Verbindungen zur Opernszene blieben so intensiv, dass er von 1857 bis 1863 kein Organistenamt innehatte, um eine Opéra comique Les recruteurs zu komponieren. Lefébures Nachfolger an der Madeleine wurde 1857 Camille Saint-Saëns, dessen klassischer Orgelstil die Anhänger seines Vorgängers enttäuschte, wie ein Ohrenzeuge berichtet4

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René de Récy, zit. nach: D. Cressanges, A travers les revues, in: La revue du foyer v. 9. 2. 1889.
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