III »Ein hochtalentierter junger rumänischer Orchesterdirigent«
Es ist schwierig, trotz der zahlreichen Veröffentlichungen über Celibidache in den
vergangenen Jahren und zahlreicher Internetpräsenzen, besonders seit seinem
Tod 1996, ein Bild aus den frühen Berliner Jahren zu finden. Das Verfügbare
stammt aus der Zeit seiner Arbeit mit dem Philharmonischen Orchester, und
man kann sich anhand dieser Dokumente einen schlanken, hochgewachsenen,
vielleicht etwas schlaksigen, quirligen jungen Mann von 30 Jahren vorstellen, mit
einem offenen, breiten Lachen und dunklen Haaren, die, während der Arbeit
künstlerisch zerzaust, aber auf dem Agenturfoto korrekt gestylt ihre Wirkung
tun.21
Vgl. Umbach, a. a. O. (s. Anm. 8), S. 98 und Weiler, a. a. O. (s. Anm. 7), S. 24 f.
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Celibidache entsprach dem gesellschaftlichen Phantasiebild eines attraktiven, südländisch
temperamentvollen, künstlerisch unnahbaren Dirigenten. Die
Deutsche Allgemeine
Zeitung kommentierte zum 19. April 1942:
Der junge Künstler hinterließ einen sympathischen Eindruck und vermochte
über eine gewandte und sichere Schlagtechnik hinaus auch als Musiker zu
fesseln.22
Franz Josef Ewens, Klassische Musizierfreude – Drei Orchesterkonzerte, in:
Deutsche Allgemeine Zeitung ca. 20. April 1942, Abdruck in: OBM-Festschrift,
S. 19, dort leider ohne Quellenangabe.
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1912 in Rumänien geboren, war Celibidache 1936 nach Deutschland gekommen,
nachdem er eine musikalische Grundausbildung in der moldawischen Stadt Iassy
erhalten, sowie in Bukarest und Paris einige Studienjahre der Mathematik, Philosophie
und Musik verbracht hatte. In Berlin wollte er nun im Alter von 24 Jahren
Komposition studieren, noch ohne Deutschkenntnisse, aber auf Einladung von
Heinz Tiessen, dem er ein Streichquartett zur Begutachtung geschickt hatte.
1938 kam das Fach Dirigieren bei Walter Gmeindl hinzu. Parallel belegte er
an der Friedrich-Wilhelm-Universität Musikwissenschaft bei Arnold Schering
und Georg Schünemann sowie Philosophie bei Nicolai Hartmann und Eduard
Spranger und arbeitete auf eine Dissertation über Josquin des Prés hin. Des
Weiteren beeinflussten Buddhismus und Zen-Buddhismus sein Denken und
seine Persönlichkeitsentwicklung. Als seinen prägenden »Guru« bezeichnete
Celibidache in einem späteren Interview den die Zendisziplin lehrenden Martin
Steinke.23
Aus dem Programmheft der
Münchner Philharmoniker. http://www.gerhard-greiner.de/biodeu.htm [Stand: 23. 6. 2002].
Vgl. Weiler, a. a. O. (s. Anm. 7), S. 11 ff., 17 f.
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Rumänien trat am 23. 11. 1940 dem
Dreimächtepakt24
Kinder/Hilgemann, a. a. O. (s. Anm. 4), S. 197. Der Dreimächtepakt von 1940 zwischen
Deutschland, Italien und Japan hatte die Neuordnung Europas und Ostasiens zum Ziel
und verpflichtete zur gegenseitigen Hilfeleistung. 1942 traten Ungarn, Rumänien, Slowakei,
Dänemark, Finnland, Nanking-China, Bulgarien und Kroatien bei.
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bei und galt als verbündetes Land in der Einflusssphäre Deutschlands, so dass der
Aufenthalt in Berlin für Celibidache zunächst unproblematisch blieb. Erst im August
1944 sah sich Hitler nach dem sowjetischen Vorstoß, vor dem das rumänische Kabinett
kapitulierte