- 164 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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in das Bildgeschehen. Glockenöffnung, quasi bewegter Klöppel und hingebungsvoll bewegender Putto suggerieren förmlich Geläute; umsomehr, weil die auffällige mehrfache Zweizahl auf dem Bild (2 Glocken, 2 Putti mit Gebinden, 2 Tauben) sogar einen Mehrklang, also eben richtiges Glockengeläut zu imaginieren anregt.

Musikinstrumente

Geburtsglückwunsch, ohne Zeitangabe (Abb. 36): Ein Wickelkind, fest ins Steckkissen gestopft, hat einen Kopf und Arme, die weit entfernt von jeglicher Ähnlichkeit mit Neugeborenen und noch nicht einmal puppenhaft stilisiert sind; das entspricht ungefähr der Stand der Kinderdarstellung des Hochmittelalters. Es hält in der linken Hand bzw. im Arm eine Nuckelflasche, in der rechten Hand eine Rassel mit zwei Glöckchen. Das Bild ist bemerkenswert axialsymmetrisch. Das Baby mit wohlonduliertem Haar – nennen wir es eben so – blickt starr, mit angedeutetem Lächeln, aus dem Bild heraus. Der imaginäre Kontakt mit dem Adressaten wird also sowohl gestisch als mit imaginären Klängen hergestellt. Bemerkenswert ist die verkaufsstrategische Umsicht der Farbgebung: die Bänder des Wickelpakets sind rosa, das Kissen samt Umrandung dagegen zwar weiß, aber, wie die Nuckelflasche, mit ungefähr komplementärem blauem Farbton schattiert. Die Karte paßt also für Mädchen wie Jungen.

Charmante Neujahrsglückwünsche für 1904/05 (Chromolithographie, Abb. 63; siehe Abbildung auf der gegenüberliegenden Seite) sind jugendstilig und gänzlich musikalisch durchstilisiert, sozusagen durchkomponiert. Die Ziffern werden witzig aus Musizierenden gebildet. Die 1 aus einem befrackten Philharmoniker, der ein bis zur leicht konischen Tröte vereinfachtes Holzblasinstrument bläst; wegen der leicht aufgeblasenen Backen ist wahrscheinlich eine Oboe gemeint. Ähnlich reduziert-stilisiert ist die 5. Eine Dame spielt ein Zupf-Instrument mit 4 Saiten, das mit viel gutem Willen z. B. als gestaltmäßig anthroposophierte Laute durchgehen könnte. Die 0 wird von einem Dirigenten gebildet, der nicht nur der Dicke wegen etwas schweinchenmäßig aussieht, sondern auch von Physiognomie wie Gestik bzw. Aussehen der linken Hand her – vielleicht eine unbewußte Anspielung auf das sylvesterliche Glücksschwein? Da Dirigenten in der Regel eher dünn sind, ist es auch der Zwang der Zifferndarstellung, der hier durchschlägt.

Fällt es schon schwer, die Lautendame ins philharmonische Ensemble zu integrieren, so fällt die Repräsentation der 9 sichtlich aus diesem Ensemble heraus: es ist der Narr, der eine zweifellige Landsknechstrommel schlägt, sie allerdings, unklar genug, in der Art einer großen Trommel hält. Wie schon der Dirigent etwas zu sagen scheint, so reißt er den Mund grinsend so weit auf, daß wir förmlich Worte zu hören vermeinen, eben z. B. den Kartentext »Prosit Neujahr!«


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