in das Bildgeschehen. Glockenöffnung, quasi bewegter Klöppel und
hingebungsvoll bewegender Putto suggerieren förmlich Geläute; umsomehr, weil die
auffällige mehrfache Zweizahl auf dem Bild (2 Glocken, 2 Putti mit Gebinden, 2
Tauben) sogar einen Mehrklang, also eben richtiges Glockengeläut zu imaginieren
anregt.
Musikinstrumente
Geburtsglückwunsch, ohne Zeitangabe (Abb. 36): Ein Wickelkind, fest ins Steckkissen
gestopft, hat einen Kopf und Arme, die weit entfernt von jeglicher Ähnlichkeit mit
Neugeborenen und noch nicht einmal puppenhaft stilisiert sind; das entspricht ungefähr
der Stand der Kinderdarstellung des Hochmittelalters. Es hält in der linken Hand bzw.
im Arm eine Nuckelflasche, in der rechten Hand eine Rassel mit zwei Glöckchen. Das
Bild ist bemerkenswert axialsymmetrisch. Das Baby mit wohlonduliertem Haar – nennen
wir es eben so – blickt starr, mit angedeutetem Lächeln, aus dem Bild heraus.
Der imaginäre Kontakt mit dem Adressaten wird also sowohl gestisch als mit
imaginären Klängen hergestellt. Bemerkenswert ist die verkaufsstrategische
Umsicht der Farbgebung: die Bänder des Wickelpakets sind rosa, das Kissen
samt Umrandung dagegen zwar weiß, aber, wie die Nuckelflasche, mit ungefähr
komplementärem blauem Farbton schattiert. Die Karte paßt also für Mädchen wie
Jungen.
Charmante Neujahrsglückwünsche für 1904/05 (Chromolithographie, Abb. 63; siehe
Abbildung auf der gegenüberliegenden Seite) sind jugendstilig und gänzlich musikalisch
durchstilisiert, sozusagen durchkomponiert. Die Ziffern werden witzig aus Musizierenden
gebildet. Die 1 aus einem befrackten Philharmoniker, der ein bis zur leicht konischen
Tröte vereinfachtes Holzblasinstrument bläst; wegen der leicht aufgeblasenen Backen ist
wahrscheinlich eine Oboe gemeint. Ähnlich reduziert-stilisiert ist die 5. Eine Dame spielt
ein Zupf-Instrument mit 4 Saiten, das mit viel gutem Willen z. B. als gestaltmäßig
anthroposophierte Laute durchgehen könnte. Die 0 wird von einem Dirigenten gebildet,
der nicht nur der Dicke wegen etwas schweinchenmäßig aussieht, sondern auch von
Physiognomie wie Gestik bzw. Aussehen der linken Hand her – vielleicht eine
unbewußte Anspielung auf das sylvesterliche Glücksschwein? Da Dirigenten in der
Regel eher dünn sind, ist es auch der Zwang der Zifferndarstellung, der hier
durchschlägt.
Fällt es schon schwer, die Lautendame ins philharmonische Ensemble zu integrieren, so
fällt die Repräsentation der 9 sichtlich aus diesem Ensemble heraus: es ist der Narr, der
eine zweifellige Landsknechstrommel schlägt, sie allerdings, unklar genug, in der Art
einer großen Trommel hält. Wie schon der Dirigent etwas zu sagen scheint, so reißt er
den Mund grinsend so weit auf, daß wir förmlich Worte zu hören vermeinen, eben z. B.
den Kartentext »Prosit Neujahr!«