- 381 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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griffig, offenbart indessen das pädagogische Dilemma, in welches man sich verstrickt, wenn man der Jugend hinterherschielt und empirische Befunde vom Tage zu Leitfiguren aufsockelt. Eine Zeitlang stehen sie dort, dann werden sie gegen neue ausgewechselt. So ist das, wenn sich Pädagogik, anstatt sich ihrer philosophischen Tugenden zu besinnen, lässig auf die Blockdiagramme von sozialwissenschaftlich-empirischer Forschung lümmelt und sich einmal so, dann wieder ganz anders erklären läßt, welche jugendspezifischen Bedürfnisse man neuerdings getrüffelt und was man daraufhin zu unternehmen ... oder tunlichst zu lassen habe, den SHELL-Studien sei Dank.


Ich will mich indessen nicht mit der Pädagogik auf einen vermutlich endlosen Händel einlassen, sie nicht in Verlegenheit stürzen mit der Frage, wie denn sie Schule definiere – als offenes Netzwerk, darin sie alle am Bildungsprozeß beteiligten Institutionen (Schule, Familie, Vereine, Freundeskreise, Kultureinrichtungen etc.) zu aktivieren gedenke und das dann unter dem Label „Kind-Umfeld-Analyse“ als Forschungsparole ausgibt, oder ob sie ganz anders Schule als Moratorium verstehen könne, darin Kinder – für eine Weile wenigstens – möglichst vielen Einflüssen entzogen werden könnten, um dort einigermaßen ungestört, unverstört einen Spielraum zu finden, zu dem selbst hyperaktive Berufsmütter mit erstem Staatsexamen und zweitem Wagen keinen Zutritt haben sollten. Ich weiß, solcher Disput wäre nutzlos, denn er handelte, wie sollte es auch anders sein, mit Paradigmen, und eben solche sind austauschbar, weil mit guten Gründen zu verteidigen bzw. mit ebenso guten Gründen zu widerlegen.


Was tun? Einfach zurückkehren zu meinem eingangs skizzierten Szenario. Schleunigst zurückkehren in den Musiksaal, darin sich Lehrer und Schüler, ausgerüstet mit Quellentexten, Notenmaterialien und Diagrammen aus privatdozentlicher Hand in ein lebhaftes Gespräch verwickeln, sagen wir mal darüber, ob (einfaches Problem) die Operette eine Vorfom des Musicals sei oder (schweres Problem) die Idee des „Poetischen“ bei Schumann an den Davidsbündler Tänzen festzumachen sei und, wenn ja, wie? Der Lehrer, im Nebenberuf Hebamme, hat gute Vorarbeit geleistet. Ein Mädchen hält das Referat zum Thema „Operette“, ein Junge das Korreferat zum Thema „Musical“. Das Tafelbild ist vorbereitet mit zwei dicken Längsbalken und vielen Querbalken, in die freien Zwischenräume braucht man jetzt nur noch reinzuschreiben, was im Disput, im Diskurs, im Gespräch interaktiv und produktiv und handlungsorientiert (schließlich singen alle Schenkt man sich Rosen in Tirol und Aquarius im Klassenverband, weil Musizieren im Klassenverband wieder angesagt ist), also braucht man jetzt nur noch reinzuschreiben, was während langer 90 Minuten auf den verbalen und definitorischen Begriff kommt. Dann ist die Tafel voll, das übertragen alle in die Mappe und kassieren die Hausaufgabe: „Schlagt im


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