- 359 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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über die Herkunft der Libretti zusammen. Leider liegt noch keine deutsche Übersetzung dieses Standardwerks vor, doch gibt es die englische Ausgabe, nachdem sie jahrelang vergriffen war, inzwischen in einer überarbeiteten Auflage. Ebenfalls ist eine komprimierte Studie zur Dramaturgie der Händel-Opern von Guido Bimberg zu empfehlen. Wer verstehen möchte, wie die Opern Händels in ein musikgeschichtliches Umfeld eingebettet sind, das auch die Opern anderer Komponisten und Länder (Frankreich, Italien) umfaßt, sollte zum ersten Band von Ulrich Schreibers Opernführer für Fortgeschrittene greifen, der eine Fülle vor allem musikanalytischer Kenntnisse vermittelt.

Die Operndidaktik hat mit der Wiederentdeckung der Opern Händels nicht Schritt gehalten, nach wie vor werden sie nur selten im Musikunterricht behandelt. Dies ist angesichts des vorhandenen musikalischen Reichtums zu bedauern, aber verständlich, da der Zugang zum Händelschen Opernschaffen mehrschichtig verlaufen sollte. Der kulturelle Schlüssel, den man zur Dekodierung von Kunst benötigt, muß mit dem kulturellen Code übereinstimmen, der einem Werk zugrunde liegt3

3 Vgl. Pierre Bourdieu, Zur Soziologie der symbolischen Formen (1970), Frankfurt a. Main 1974, S. 159.

. Daher müßte eine gewisse Vertrautheit mit der Tradition der musikalischen Rhetorik und des Affekts vorausgesetzt werden. Die Wahrnehmung der barocken Musik bleibt fragmentarisch, wenn den Schülern und Schülerinnen nicht bestimmte Formeln und Schreibweisen vermittelt werden, die, bei aller Typisierung, der Individualität und Lebendigkeit der Musik gerecht werden. Besonderer Wert sollte auf die Entschlüsselung der Personencharakteristik gelegt werden, durch die ein sowohl kognitiver als auch unmittelbarer emotionaler Zugang zu den psychischen Situationen und Handlungskonstellationen auf der Bühne erreicht werden sollte.


Ein Problem besteht darin, daß eine Reihe von Opernaufnahmen auf dem Markt sind, die historisch unzumutbare Manipulationen enthalten: eine 1985 aufgenommene Fassung der Oper Rodelinda wurde von dem Dirigenten Richard Bonynge „bearbeitet“, das heißt gekürzt. Eine der schönsten Arien der gesamten Oper, „Se’l mio duol“ aus dem 3. Akt, bricht nach dem A-Teil ab, und die Einspielung enthält teilweise überzogene Verzierungen seitens der Sänger.


Keineswegs soll einem sklavischen Genauigkeitskult das Wort geredet werden. Es ist ohnehin unmöglich, den Schülern eine gesamte Oper mit ihren rund dreißig Arien nahezubringen. Es wäre illusorisch zu meinen, die Gegebenheiten wären historisch getreu nachzugestalten. Doch sollte man grundlegende Verhältnisse nicht verändern, wie etwa die von Händel subtil gehandhabte Balance zwischen den A- und B-Teilen einer Arie. Man sollte sich nicht von billigen CD-Versionen blenden lassen, bei denen die Verstümmelungen verschämt als „Bearbeitung“ fungieren.


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