- 310 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (309)Nächste Seite (311) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Im Vorwort zum BDM-Liederbuch Wir Mädel singen54

54 S. Anm. 51.

heißt es: „Unser Lied kündet von unserer Weltanschauung...“ Und im Geleitwort wird der Wunsch geäußert, das Buch, das den Mädels „etwas zu sagen hat“, möge sehr starke Verbreitung finden. „Es soll mit das liebste Buch in der Bücherei eines BDM-Heimes oder eines Mädels oder Jungmädels sein.“ Wie verbreitet dieses Liederbuch war, geht bereits aus der Tatsache hervor, daß der vorliegende Band bis 1939 eine Auflage von 560 Tausend erreichte.


Neben vielen für Feier, Fahrt und Tanz geeigneten Texten und Melodien aus dem Volksliedbereich wie aus der Jugendbewegung kommen natürlich auch allerlei NS-Lieder vor, darunter das weitverbreitete Es pfeift von allen Dächern. Textautor ist ein Wiener Freund des NS-Märtyrers Horst Wessel. Im Liederbuch Lobet das Land wird die Entstehung wie folgt beschrieben:


Das Lied entstand 1926 nach einer politischen Versammlung, die mit einer heftigen Saalschlacht endete. Der Schöpfer des Liedes, Roman Hädlmayr, 1907 in Wien geboren, kam schon als sechzehnjähriger Gymnasiast zur NSDAP und zur SA. Im Jahre 1926 wurde er mit der Führung der Wiener Hitlerjugend betraut und übernahm 1926 die Landesleitung. Anfang 1934 wurde Hädlmayr in die Chefredaktion des „Österreichischen Beobachters“ berufen. Aber schon im gleichen Jahre wurde der „Ö. B.“ verboten, H. verhaftet und wegen staatsfeindlicher Tätigkeit verurteilt.55

55 Lobet das Land, hg. von Richard Junker u. Walter Peters, 2. Teil: Musikbuch für die oberen vier Jahrgänge der Volksschulen des Regierungsbezirks Hildesheim, Leipzig: Merseburger 1940, S. 101.


In der 2. Strophe des Liedes heißt es: „Geduld und ballt die Fäuste!“, und in der 4. wird die Aussage eindeutig, sicherlich auch für BDM-Mädel: „Geduld, verratne Brüder, schon wanket Judas Thron!“


Die jüngsten Beiträge zum Thema Lieder in Politik und Alltag des National­sozialismus (1999)56

56 Niedhart/Broderick 1999.

sind wichtig, aufschlußreich und bieten neuere Forschungsergebnisse, doch entgehen sie nicht immer ganz der Verharmlosung. Außer Manfred Seifert57
57 Seifert 1999.

ist es eigentlich nur Anna-Christine Brade, die auf die fundamentale Brutalität und die Anstiftung zum Judenhaß und deren Folgen konkret und glasklar hinweist, wenn sie schreibt:


Meiner Meinung nach ist im Refrain des Liedes „Es pfeift von allen Dächern“ mit den Worten „Geduld, verratne Brüder, schon wanket Judas Thron“ das Feindbild „Juden“ konkret benannt. Auf diese Kampfansage folgt Parduns „Volk ans Gewehr“. Es gilt festzuhalten, daß auch in dem nach Klaus58

58 Martin Klaus, Mädchen im Dritten Reich, Köln 1983.

so unpolitischen Liederbuch des BDM der Nationalsozialismus seine terroristische Seite zeigt. Der Themenbereich beginnt mit der fast hymnischen Feier der jungen Generation, danach werden Rassebewußtsein und Eroberungswille gestärkt und die Feinde offen benannt. „Schon wanket Judas Thron“ ist von strahlenden jungen Mädchen mit Eifer und Andacht während eines Eltern- oder eines Heimabends gesungen worden. Damit gehörte die Ausgrenzung der Anderen, die Verachtung der jüdischen Klassenkameradinnen zum Teil dieses festlichen Abends. So

Erste Seite (1) Vorherige Seite (309)Nächste Seite (311) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 310 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik