- 265 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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In der Regel sind die im Alltag anfallenden handwerklichen Arbeiten Konstruktions- oder Reparaturarbeiten, die im weitesten Sinne dazu dienen, bestimmte Materialteile dauerhaft zusammenzufügen. ‚Paßt, wackelt und hat Luft!‘, heißt es oft launig, wenn alles ‚bomben‘-fest sitzt und alle verwendeten Teile ihren angestammten Zweck erfüllen.


In diesem Zusammenhang sind z. B. Hammer und Nagel, Tacker, Akkuschrauber, Klebeband u. a. äußerst nützliche Hilfsmittel für den Heimwerker. Aber auf der Verbotsliste für den Klangwerker stehen sie – Ausnahmen vorbehalten – ganz obenan. Dieses Prinzip ist heutigen Jugendlichen, die sich im Angebotsarsenal von Hobby- und Baumärkten mit ihren plastikversiegelten vorproduzierten Lösungen für nahezu jedes Befestigungsproblem z. T. bestens auskennen, aber u. U. keinen durchschaubaren Knoten binden können, nur schwer zu vermitteln.

Beim akustischen Experimentieren und Musikerfinden im Projekt kommt es hinsichtlich von Befestigungen auf eine differenzierende Sicht- und entsprechend variierende Vorgehensweisen an. Hier heißt das oberste Prinzip ‚Lösen‘ – Auslösen und Gestalten von Klang und Geräusch, mit dem Idealziel, für das Schwingen eines jeden Objekts oder Materials ein Höchstmaß an Freiheit von Behinderungen zu schaffen, damit es seine musikalischen Eigenschaften voll entfalten kann. Alles Befestigen, Binden, Verbinden, Zusammenfügen usw. gilt daher letztlich dem Bestreben des Lösens und Entbindens – der Befreiung zum Klingen.


Splintermezzo: Eine musikalische Ab-Fall-Geschichte


... Fällt aber Großmutters Kronleuchter, das kostbare Erbstück aus blinkendem Holz, Glas und Messing, deren Aufhängung es vielleicht zu reparieren galt, bei der Arbeit herunter und erleidet einen hochprozentigen Schaden, so war alles Bemühen um die Wiederherstellung einer sicheren Lichtquelle im Raum zwecklos. Die wertlosen Überreste taugen nur noch zum sortierenden Entsorgen.


Daß im Moment des Aufpralls der Lampe, des Zerberstens und Auseinandertrudelns ihrer Teile, jedes einzelne für eine kurze Zeit in die elemetare Funktion geworfen wird, nur schwingendes Material zu sein, mag den durchschnittlichen Pechvogel, der einen solchen Qualitätssprung verursacht, ungerührt lassen. Ist er aber für überraschende, unkonventionelle akustische Ereignisse empfänglich, dann werden sich ihm die letzten Vibrationen des Lampentorsos als rhythmisch-melodische Elemente einer höchst lebhaften ‚Todesmelodie‘ musikalisch mitteilen und als klingender Abschiedsgruß einprägen. Handelt es sich gar um einen Lehrer, der gerade ein Musikprojekt zum kreativen Umgang mit Klängen und Geräuschen plant, womöglich um einen jener Spezies, die lieber das Quietschen ihrer Korridortür in vergnügter Pfeifimprovisation fortsetzt als mit einem Tropfen Öl endlich die schon lange vergebens schmollende Hausfrau zu versöhnen, so wird er es als Glück im Unglück dankbar begrüßen, seine Materialsammlung um einige neue klangergiebige Schätze bereichern zu können, mit denen er noch am ‚Abfall‘-Ort, während er zunächst die gefährlichsten Glassplitter beseitigt, zu experimentieren beginnt:


Größere Scherben überprüft er vorsichtig auf ihren Klang, indem er sie einfach aus ein paar Millimetern Höhe mit der gewölbten Seite nach unten sachte auf den harten Parkettboden fallen läßt. Er staunt darüber, daß selbst ein nur wenige Quadratzentimeter großes Stück aus dem Mantel einer Glühbirne


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