- 214 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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des Innehaltens im Ablauf des Hörspiels ausfüllen. Sie bilden den klanglichen Hintergrund, vergleichbar der Landschaft in den Bildern des Dichters. Zusätzliche Eiszapfenklänge symbolisieren Schönheit, Kälte und Zerbrechlichkeit gleichermaßen.

Von Nr. 4 wurde Takt 1–23 original übernommen, jedoch mit einer einstimmigen, kalten Synthesizerlinie überlagert, die taktweise Töne der Harmonien Schuberts instrumentiert – eine Verstärkung des Bildes vom Wanderer in der Winterlandschaft. Jäh bricht dies Bild mit Takt 23 ab, als sei der Wanderer verschwunden, verschluckt vom Schnee. Übrig bleibt der kalte Klang – wie die Weite der weißen Landschaft. Der oben zitierte Satz wurde vom Lied abgekoppelt und resignativ in den kalten Klang hineingesprochen.


  • Nr. 9 Frühlingstraum: Der Traum von den bunten Blumen, vom Frühling, vom erwachenden Leben wirkt im Lied wie eine Rückblende und wird – nach jähem Einbruch der Wirklichkeit – kontrastiert mit der Schönheit der kalten Eisblumen am Fenster. Der Träumer im Winter bleibt auch in diesem Bild einsam und verlacht. Vielleicht kann es als das romantischste Lied dieses Zyklus bezeichnet werden: Traum, Frühling, Liebe, träumerische Erinnerung und dramatischer Einbruch der Kälte und Finsternis mit den krächzenden Raben als Totenvögeln.


Im Hörspiel erscheint Takt 1–14 als Originalzitat wie ein plötzliches Aufblitzen schöner Erinnerungen. Die Kontrastidee, die Ablösung des Traums durch die Realität, wurde übernommen, jedoch mit Hörspielmitteln realisiert: jäh beenden zwei hart gespielte Klavierquinten diese Frühlingsvision. Zugleich bilden sie die Brücke zur Tonart des folgenden Liedes.


  • Nr. 5 Der Lindenbaum: Es ist eine Idylle, in die uns Müller wie Schubert versetzen, ein Lindenbaum am Brunnen vor dem Tore, dessen Blätter säuseln, in dessen Rinde Liebende ihre Namen – und die Dauer ihrer Liebe – zu verewigen glauben. Er wird zum Freund des Wanderers, „zum musikalisch sprechenden Wesen“23

    23 Fischer-Dieskau, a. a. O. (s. Anm. 17), S. 297.

    , aber auch zum Symbol suggestiver Todessehnsucht: „und immer hör ich’s rauschen, du fändest Ruhe dort!“ – innere Ruhe, Ende des seelischen und körperlichen Leidens, ewige Ruhe – es bleibt offen: Schuberts Musik wirkt bei dieser Stelle fast heiter.


Ähnlich wie bei Nr. 9 wird auch hier Schuberts Musik im Original verwendet. Nach den erwähnten zwei Quinten als Überleitung im Hörspiel setzt nun Schuberts Musik gleich mit dem Textanfang (Auftakt 9 bis Takt 24) ein. Die Stelle „es zog in Freud und Leide / zu ihm mich immer fort“ überlagert der Sprecher mit den rhythmisch deklamierten Worten aus Takt 73 ff. „... / du fändest Ruhe dort“, um die Doppeldeutigkeit des Lindenbaums im oben genannten Sinne mit diesem kurzen Musikzitat herauszustellen. Im Sinne Mahlers verbindet sich auf diese Weise eine fast nicht zu ertragene, von Schubert bewußt konzipierte Süße der Stelle mit der Todessehnsucht des Leidenden.


Ohne Überleitung dringt nun im Hörspiel jäh die soziale Wirklichkeit in das Geschehen: es erklingt die originale Drehleier; der Bettler, der wirklich Ausgestoßene, tritt auf. Aus dieser Begegnung entstand, wie man weiß, mit Nr. 24, der letzten Leidensstation, eines der beeindruckendsten Lieder des Zyklus.


Mit dem Leiermann ist nicht nur der Stimmungstiefpunkt des Zyklus, sondern überhaupt alles dessen erreicht, was Schubert zu Papier gebracht hat, denn kein Ausbrechen wie im Doppelgänger ist dieser Not gegönnt; das Leben hat kaum noch eine Chance in diesen Zeilen. Die Wirkung auf den Hörer ist lähmend.24

24 Fischer-Dieskau, a. a. O., S. 198.


Nach dem dreimaligen Zitat der Drehleier entwickelt sich aus dem kreisenden Drehleierklang Schuberts Lied ab Takt 55 mit der zentralen Aussage: „willst zu meinen Liedern deine Leier


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