- 156 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (155)Nächste Seite (157) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

jammernden Mütter, das Stöhnen der Verwundeten und Verbrannten, das Seufzen der Sterbenden: welch eine grausige Musik ist das, welch ein Konzert des Lärms und der Vernichtung, wie die Welt dergleichen nicht gehört hat seit ihrem Bestehen. – Ist es da berechtigt, daß wir singen, daß wir Musik pflegen, daß wir uns im Rundfunk, im Konzert an den Werken unserer Meister erfreuen?...


Neben den heute fast unvorstellbaren Problemen, die sich damals täglich durch die Kriegssituation ergaben, gab es weiterhin auch für Müller politische Probleme. Am Beispiel der Zeitschrift Die Kirchenmusik, die Müller von 1938–1944 als Schriftleiter betreute, läßt sich verdeutlichen, mit welchen Schwierigkeiten im Dritten Reich jeder Schriftleiter zu kämpfen hatte (vgl. dazu Helms 1988, S. 125 ff.). Jeden Monat erhielt er von der Gauleitung Köln-Aachen ein etwa drei Seiten langes, als geheim deklariertes Schreiben, in dem detailliert angegeben war, worüber und wie in Zeitschriften berichtet werden sollte bzw. was nicht erwähnt werden durfte. Müller hatte nur die Wahl zwischen einem Verbot der einzigen noch erscheinenden katholischen Kirchenmusik-Zeitschrift oder einer zumindest teilweisen „Anpassung“ an die Zensur. Müller entschied sich für die zweite Möglichkeit, vermied das Unerwünschte, veröffentlichte aber nur selten das zur Veröffentlichung Empfohlene und kam damit durch.


Müllers Bekenntnis zur Kirche und zur Kirchenmusik, wie es in einigen der vorliegenden Gutachten zum Ausdruck kommt, zeugt von seinem Mut, den er im „Dritten Reich“ mehrfach bewiesen hat. Anfang der 1940er Jahre hatte er eine „Denkschrift“ zur Kirchenmusik verfaßt, die von vielen namhaften Geistlichen sehr positiv aufgenommen wurde (z. B. dem Erzbischof von Freiburg und dem Bischof von Ermland).


Am 7. 2. 1944 konnte Müller seinen 70. Geburtstag feiern. Zahlreiche Glückwünsche erreichten den Jubilar, und in Fachzeitschriften erschienen mehrere ausführliche Würdigungen. Im Hörsaal der Universität fand eine (nach Aussagen von Zeitzeugen) besonders feierliche Veranstaltung anläßlich seines Geburtstages statt. Er hatte sich – im Gegensatz zu vielen Kollegen der Musikhochschule – nicht entschließen können, die Stadt zu verlassen und sich irgendwo in seiner Heimat, dem Bergischen Land in größere Sicherheit zu bringen. In der Nacht vom 20./21. April 1944 wurde seine Wohnung durch einen Fliegerangriff stark beschädigt, bei einem weiteren Angriff sogar so stark zerstört, daß sie nicht mehr bewohnt werden durfte. Allerdings konnten einige Möbelstücke, alle Bücher, Noten und Manuskripte gerettet werden. In der Nacht zum 31. Mai 1944 kam Müller bei einem weiteren Bombenangriff in der Wohnung seines Sohnes ums Leben.

Ab Juli 1944 ruhte der gesamte Lehrbetrieb. Köln war total zerstört, ständig gab es Fliegeralarm, und die Front stand bei Düren. Nach dem Kriege wurde für


Erste Seite (1) Vorherige Seite (155)Nächste Seite (157) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 156 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik