- 130 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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individuelle Gefühl des einzelnen Darstellers herauszuwachsen vermag.

Frage:

Sie sprechen vom dramatischen Kunstwerk und vom Darsteller. Demnach verwenden Sie also Beethovens instrumentale Tonsprache für den Gesang in ihrer Oper?

Wagner:

Die seelenvolle Melodie läßt die Musik erst zum wirklichen Gefühlsausdruck werden. Der reine Wortvers enthält die aus der Erinnerung geschilderte, gedachte, beschriebene ungegenwärtige Empfindung, die reine Melodie dagegen die neue, gegenwärtige Empfindung, in die sich die gedachte ungegenwärtige Empfindung als neu Verwirklichtes auflöst. Die in dieser Melodie kundgegebene, sinnlich unmittelbar ergreifende und das teilnehmende Gefühl bestimmende Empfindung ist eine Erscheinung, die uns, denen sie mitgeteilt wurde, so gut angehört als dem, der sie mitteilte. In der Entwicklung meiner dramatischen Melodie, wie ich sie im Tannhäuser und Lohengrin verfolgte, bestimmte mich ganz die im Sprachvers ausgedrückte Empfindung für ihren gesteigerten musikalischen Ausdruck.

Frage:

Welche Rolle spielt dann das Orchester in ihrer Oper?

Wagner:

Das Orchester besitzt das Vermögen der Kundgebung des Unaussprechlichen: Eine Melodie, wie sie als Erguß einer Empfindung uns vom Darsteller mitgetheilt worden ist, verwirklicht uns, wenn sie vom Orchester ausdrucksvoll da vorgetragen wird, wo der Darsteller jene Empfindung nur noch in der Erinnerung hegt, den Gedanken dieses Darstellers; ja, selbst da, wo der gegenwärtig sich Mittheilende jener Empfindung sich gar nicht mehr bewußt erscheint, vermag ihr charakteristisches Erklingen im Orchester in uns eine Empfindung anzuregen, die zur Ergänzung eines Zusammenhangs, zur höchsten Verständlichkeit einer Situation durch Deutung von Motiven, die in dieser Situation wohl enthalten sind, in ihren darstellbaren Momenten aber nicht zum hellen Vorschein kommen können, uns zum Gedanken wird, an sich aber mehr als der Gedanke, nämlich der vergegenwärtigte Gefühlsinhalt des Gedankens ist.



  1. Welche Möglichkeiten sieht Wagner, Gefühle in einem Kunstwerk zum Ausdruck zu bringen?

  2. Diskutieren Sie seine Auffassung. Haben Sie schon ähnliche Erfahrungen gemacht?

  3. Überprüfen Sie Wagners Ausführungen von der Entstehung der Sprache anhand eines Lexikons (z. B. Artikel Sprachursprung). Welche Funktion haben diese Erklärungen Wagners?


Wagner führt aus, das Orchester besitze das Vermögen, Unaussprechliches kundzugeben. Versuchen wir, uns seinen Gedanken an einer Stelle aus dem dritten Akt des Lohengrin zu vergegenwärtigen. Es handelt sich um die Szene nach der Hochzeit: Das Brautlied ist verklungen und Lohengrin und Elsa sind zum erstenmal allein. Am Ende der Szene stellt Elsa die verbotene Frage nach Lohengrins Name und Herkunft. Zunächst sind beide noch im Liebesglück vereint.


Hören Sie die Passage und verfolgen sie die Noten im Klavierauszug.


Notenbeispiel 1a: 3. Akt, 2. Szene, Kl.-A. Breitkopf S. 267 bis 270, T. 5 „...die nur Gott verleiht“

Hörbeispiel 4a: dito (3' 50'')




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