Die traditionelle Musik hatte mit der Verselbständigung ihrer Aufgaben und
Techniken vom gesellschaftlichen Grunde sich abgelöst und war »autonom«
geworden. Daß ihre autonome Entwicklung die gesellschaftliche reflektiert,
war nie an ihr so einfach und zweifelsfrei zu entnehmen wie etwa an
der des Romans. Nicht bloß fehlt der Musik als solcher der eindeutig
gegenständliche Inhalt, sondern je reiner sie ihre Formgesetze ausbildet
und ihnen sich überläßt, um so mehr dichtet sie zunächst gegen die
manifeste Darstellung der Gesellschaft sich ab, in der sie ihre Enklave
hat.41
Der mit Adornos Begriff der ästhetischen Autonomie verbundene Erkenntnischarakter der Musik wird somit bei der Musik anhand des Begriffs des musikalischen Materials dargestellt. Nach Adorno stellt sich das Problem der Entfremdung zwischen Musik und Gesellschaft im Material, da das musikalische Material nicht rein, sondern gesellschaftlich-geschichtlich bedingt ist. Ihm zufolge erscheint etwas, was künstlerisch möglich ist, nur am Material. Das Material verfügt über eigene Gesetzmäßigkeiten, die weder nur dem subjektiv-begrifflichen Bereich unterliegen, noch nur von der gesellschaftlichen Realität abgehobene Ideen darstellen. Am Begriff des Materials fügen sich die Komponenten der Adorno’schen Dialektik von Form und Inhalt sowie von Konstruktion und Ausdruck zusammen. Der objektiv-geschichtliche Gehalt des Materials verbürgt den Zusammenhang von Subjekt und Geschichte. Hiermit entfaltet sich das Verhältnis der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Kunst im Material. Im Medium des Materials gestaltet der Künstler die Entfremdung. Hinsichtlich ihrer Lösung des im Material gestellten Problems und des damit verbundenen Konflikts zwischen Musik und Gesellschaft unterscheidet Adorno in seiner Schrift »Zur gesellschaftlichen Lage der Musik« (1932) vier Hauptströmungen neuen musikalischen Schaffens:
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