- 28 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Die traditionelle Musik hatte mit der Verselbständigung ihrer Aufgaben und Techniken vom gesellschaftlichen Grunde sich abgelöst und war »autonom« geworden. Daß ihre autonome Entwicklung die gesellschaftliche reflektiert, war nie an ihr so einfach und zweifelsfrei zu entnehmen wie etwa an der des Romans. Nicht bloß fehlt der Musik als solcher der eindeutig gegenständliche Inhalt, sondern je reiner sie ihre Formgesetze ausbildet und ihnen sich überläßt, um so mehr dichtet sie zunächst gegen die manifeste Darstellung der Gesellschaft sich ab, in der sie ihre Enklave hat.41
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Adorno, T. W., Philosophie der neuen Musik, Gesammelte Schriften 12, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 122–123.

Der mit Adornos Begriff der ästhetischen Autonomie verbundene Erkenntnischarakter der Musik wird somit bei der Musik anhand des Begriffs des musikalischen Materials dargestellt. Nach Adorno stellt sich das Problem der Entfremdung zwischen Musik und Gesellschaft im Material, da das musikalische Material nicht rein, sondern gesellschaftlich-geschichtlich bedingt ist. Ihm zufolge erscheint etwas, was künstlerisch möglich ist, nur am Material. Das Material verfügt über eigene Gesetzmäßigkeiten, die weder nur dem subjektiv-begrifflichen Bereich unterliegen, noch nur von der gesellschaftlichen Realität abgehobene Ideen darstellen. Am Begriff des Materials fügen sich die Komponenten der Adorno’schen Dialektik von Form und Inhalt sowie von Konstruktion und Ausdruck zusammen. Der objektiv-geschichtliche Gehalt des Materials verbürgt den Zusammenhang von Subjekt und Geschichte. Hiermit entfaltet sich das Verhältnis der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Kunst im Material.

Im Medium des Materials gestaltet der Künstler die Entfremdung. Hinsichtlich ihrer Lösung des im Material gestellten Problems und des damit verbundenen Konflikts zwischen Musik und Gesellschaft unterscheidet Adorno in seiner Schrift »Zur gesellschaftlichen Lage der Musik« (1932) vier Hauptströmungen neuen musikalischen Schaffens:

  1. die moderne Musik Arnold Schönbergs und seiner Schule, die zwar ohne bewusste gesellschaftliche Verortung ihre Probleme und Lösungen auskristallisiert, aber eine historisch produzierte Dissonanz, nämlich die gesellschaftlichen Antinomien »vorstellt«.42
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    Adorno, T. W., Zur gesellschaftlichen Lage der Musik, in: ders., Musikalische Schriften 5, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 734.
  2. der Objektivismus Igor Strawinskys und Paul Hindemiths, der zwar die Tatsache der Entfremdung erkennt, diese aber ohne sich auf eine gesellschaftliche Dialektik einzulassen,43
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    Ebd., S. 734–735.
    in der formimmanenten ästhetischen Darstellung aufzuheben versucht. Dabei wird meist auf vergangene Stilformen zurückgegriffen.
  3. der Surrealismus Kurt Weills als eine Zwischenform. Sie geht ebenso wie der Objektivismus von der Erkenntnis der Entfremdung aus. Er stellt die gesellschaftliche Brüche durch brüchige, sich selbst als scheinhaft setzende Faktur dar.44
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    Ebd. 735.
    Dabei visieret er jedoch keine positive Lösung an.

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