- 95 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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musikalisch-genetischer Anlagen. Offenbar haben sie keinen direkten Überlebenswert, der ihre evolutionäre Selektion rechtfertigen würde. Lerdahl/Jackendoff vermuten daher, daß viele Prinzipien der musikalischen Grammatik sich auch in an-deren Gebieten der Kognition wiederfinden und nur u.a. für musikalische Verarbeitungsvorgänge nutzbar gemacht werden (s. Lerdahl/ Jackendoff 1983, S. 283).
Tatsächlich können die Autoren einige Parallelen zwischen ihrer Theorie tonaler Musik und Theorien aus der Psychologie und Linguistik anführen, die diese Annahme untermauern. So ist z.B. die Parallele zur Gestalttheorie offensichtlich. Die strukturelle Analyse von Musik verläuft nicht strikt bottom-up vom Detail zum Ganzen, sondern die Interaktion zwischen den vier Arten der Analyse weist auch top-down-Komponenten auf, d.h. globale Informationen einer höheren Verarbeitungsebene (z.B. der prolongational reduction) können strukturelle Regeln einer niedrigeren Ebene (z.B. der time-span reduction) außer Kraft setzen (vgl. time-span reduction preference rule 6 [TSRWFR 6], s. Anhang A).
Eine zweite Gemeinsamkeit besteht in der Anwendbarkeit von preference rules in Musiktheorie und Linguistik. Zwar geht es in der Sprachwissenschaft primär um die Grammatikalität von Äußerungen und damit um die Beschreibung von well-formedness rules, doch finden sich auch in der linguistischen Theorie Phänomene, die der Funktion von preference rules entsprechen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: In der täglichen Kommunikation werden häufig Äußerungen verwendet, die nicht wörtlich gemeint sind (Beispiel: Musikexperte zu seinem Freund während eines äußerst schlechten Bach-Konzerts: " Wußte ich's doch, daß Bach Zeitgenosse Schönbergs war. " --> Ironie) und die nur auf Grundlage bestimmter pragmatischer Prinzipien zu verstehen sind. Diese sogenannten Konversationsmaximen hat Grice (1975) beschrieben:

(a)Maxime der Quantität: Mache deinen Beitrag zur Kommunikation so informativ wie nötig.
(b)Maxime der Qualität: Versuche deinen Beitrag zur Kommunikation so zu machen, daß er wahr ist.
(c)Maxime der Relation: Mache deinen Beitrag relevant.
(d)Maxime der Modalität: Sei klar und deutlich.


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