- 445 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Improvisation bei amerikanischen Negerjazzkapellen, ebenfalls deutlich wird.


Dies alles gehört in die hier gestellte Thematik deswegen hinein, weil es jenen Gegenpol des äußersten Gegensatzes zum “Mechanischen” darstellt, zu dem die musikalische Entwicklung gerade durch die Konsequenzen der Technisierung führen muß; weil diese eben alles Nicht-Spontane, Nicht-Schöpferische, sondern einfach Nachahmende in immer steigendem Maße dem Menschen abnehmen muß.


Wenn die musikalische Hauskultur in ihrer heutigen oder vielmehr gestrigen Form zu den Opfern dieses Vorganges gehören muß, so kann sie später ersetzt werden durch andere Arten häuslicher Musikpflege, bei denen ebenfalls das Moment der freien Weiterentwicklung bestimmend in Erscheinung tritt. Ein Ansatz dazu scheint an einer Stelle vorhanden zu sein, wo man am wenigsten gewohnt ist, sie zu suchen, nämlich wiederum im amerikanischen Jazz. Dieser verdankt seine enorme Verbreitung nämlich zu einem großen Teil der Tatsache, daß er nicht vollständig fertige Musikstücke liefert, sondern der freien Weiterbildung durch die einzelnen Spieler einen beträchtlichen Spielraum läßt. So etwas kann die Technik natürlich nicht ersetzen: die wahre Freude des Musizierenden ist die des Veränderns und Mitschaffens.


Versucht man sich nach solchen Anzeichen ein Bild der zukünftigen möglichen Musikkultur zu bilden, so gelangt man zu der Vorstellung, wie sie oben angedeutet wurde, daß der Komponist künftig entweder seine Werke ein für allemal authentisch fixiert oder (der andere und offensichtlich lebensvollere Zweig möglicher Entwicklung), daß er sein Werk überhaupt nur in großen Zügen fertigstellt und dessen Ausführung innerhalb bestimmter, nach neuen Konventionen oder Vorschriften festzusetzender Gesetze dem Musizierenden überläßt. Ja, man kann sich denken, daß erst durch eine so wiedergefundene Gemeinsamkeit, die sich schon in einem sehr hohen Maße einem Kollektivschaffen nähert, das endgültige Gebilde entsteht, das nun wiederum für die Nachwelt auf technischem Wege festzuhalten wäre.


Man sieht also hier die gleiche Kraftwirkung der Technisierung auf andern Gebieten, wie sie vorhin beschrieben wurde als ein Zwang der Hinwendung fort von einer privilegierten Schicht zu der Gesamtheit möglicher Zuhörer. Wenn es sich dort, wie besonders am Rundfunk exempliziert wurde, nur um die Verbreiterung des Kreises der passiv


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