- 427 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Technisierung unmöglich betrachtet werden kann, ohne daß dabei Organisation als geistige Aufgabe ins Bewußtsein tritt.


Dazu ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, daß jener ganze Prozeß der Umorientierung der äußeren und der künstlerischen Existenz, wie wir sie heute etwa besonders deutlich bei dem Beruf des Musikers sehen, kein vorübergehender ist, sondern sich vielmehr mit Entschiedenheit in gleichem Sinne fortsetzen wird. Heute schon sind für den Musiker die Wirkensmöglichkeiten, die Rundfunk, Tonfilm und Schallplatte bieten, von einer oft entscheidenden Bedeutung; sie bestimmen schon jetzt vielfach sein Schicksal als Künstler in jeder Hinsicht. Was sich im Konzertleben bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts entwickelt hat, war immerhin doch eine bestimmte Form des Aufkommens und Wirksamwerdens von Persönlichkeiten, in der dem einzelnen zum mindesten unter bestimmten ökonomischen Bedingungen ein bestimmtes Maß von individueller Bewegungsfreiheit blieb. Der Weg des Musikers ist schon heute ein anderer; er wird wesentlich mit bestimmt durch den Charakter jener großen Organisationsformen, wie wir sie im Tonfilm, im Rundfunk oder in der Schallplattenindustrie vor uns haben. Angenommen, es herrschte in diesen die entschiedene Absicht, die künstlerische Produktion und Reproduktion in ihrer jetzigen Form überhaupt zu unterdrücken und eine andere an deren Stelle zu setzen — ein glücklicherweise hypothetischer Fall —, so wäre dies sehr wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grade möglich.


Wo Technik ist, da ist auch Industrie; wo innerhalb dieses in Frage kommenden Gebietes Industrie ist — da ist der Künstler und überhaupt der von geistigen Zielsetzungen bestimmte Mensch in Gefahr, zu einem mehr oder minder hochbezahlten Handlanger zu werden, und zwar unter Einbuße seiner eigensten Werte. Die Geschichte des stummen Films ist ein furchtbares Paradigma dafür. Die Machtmittel, die aufgeboten werden müssen, um den Künstler zu schützen, nicht nur im Sinne eines Arbeitsrechts, sondern in dem der wahren Sicherung seiner geistigen Existenz, werden sicher zu einem Teil staatlich sein müssen. Allerdings ist es unverkennbar, daß dahinter wieder das Problem des Gegensatzes des Staates und der Industrie auftaucht und weiter das der Struktur der Gesellschaft überhaupt.


Betrachtet man die im Augenblick in Deutschland gegebene Situation, so fällt vor allem ein Gegensatz auf, der auf die Dauer nicht bestehen kann: daß nämlich auf der einen Seite große Mittel aus


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