- 402 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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blieb nichts anderes mehr übrig, als die zur Verfügung stehenden Ventile zu öffnen, um seiner vielen überschüssigen Kraft wenigstens einige Expansionsmöglichkeiten zu geben. Aus Not schlug man die beiden einzig möglichen Wege ein, die noch Genuß und Macht zu garantieren schienen.


Romantik und Geldgier hießen die Götzen, die man jetzt anbetete. Romantik, das war die Flucht aus der Wirklichkeit, der nachzugehen man dem Bürgertum verwehrt hatte. An Stelle der Realität trat die Sehnsucht. Während auf den Straßen die Schergen Metternichs patrouillierten, blühte in verschwiegenen Kammern die blaue Blume der Romantik auf.


Wennschon die Möglichkeiten zu realer Macht gedrosselt waren, genoß man sie doch in der Phantasie. Unter diesem Zeichen der Selbstbefriedigung standen Generationen.


Im Wunschtraum identifizierte man sich mit den Machthabern, die man hassen und blutig hätte vertreiben sollen.


Und so enervierte diese Einstellung einen ganzen Stand, daß selbst ein Bismarcksches Reich – das doch nur die Realisation eines feudalistischen Willens zur Macht bedeutete – mit der Erfüllung eigener Sehnsucht fälschlicherweise identifiziert wurde.


Macht im Staat hatte man dem dritten Stand versagt, also galt es, die Macht auf andern Gebieten an sich zu reißen.


Waren bisher die Bürger vornehmlich Gewerbetreibende gewesen, war bisher das Ideal dieses Standes die höchste Vollendung des Werkes, so mußte man, um die eigene Geltung zu forcieren, dieses Meisterideal aufgeben. Denn selbst der kunstvollste Handwerksmeister repräsentierte keine nennenswerte Wirtschaftsmacht.


Nur die Schaffung einer starken wirtschaftlichen Position konnte aber dem Bürgertum den geeigneten Ersatz für die versagte Staatsmacht bieten.


Die Weltanschauung des Individualismus wurde zum kaufmännischen Prinzip erhoben.


War in früheren Zeiten das Wohl der Gemeine höchstes Ziel des einzelnen, war innerhalb der eigenen Lebenskurve das Werk der Kulminationspunkt, der erreicht werden sollte, so wurde jetzt der Schwerpunkt verlegt, um den Wunschträumen nach Macht feste Gestalt zu verleihen.


Nicht mehr der Gegenstand, den man erzeugte, war um seiner selbst


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