- 18 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Cassirer: Form und Technik


Weg zu einer möglichen Einheit muß vielmehr über die Einsicht und über die scharfe und rückhaltlose Anerkennung der Besonderung führen, einer Besonderung, die mehr als bloße Differenz, die echte Polarität ist. Von hier aus ergibt sich die eigentliche Bestimmung der Aufgabe, die, im gegenwärtigen Zeitpunkt der Entwicklung, die Philosophie gegenüber der Technik zu erfüllen hat. Diese Aufgabe kann sich nicht darauf beschränken, der Technik im Ganzen der Kultur und damit im Ganzen der systematischen Philosophie, die der gedankliche Ausdruck dieser Kultur sein will, einen bestimmten “Platz” anzuweisen — sie einfach neben die andern Gebiete und Gebilde, wie “Wirtschaft” und “Staat”, “Sittlichkeit” und “Recht”, “Kunst” und “Religion” zu stellen. Denn im Bereich des Geistes gibt es kein solches bloßes Beisammen oder Nebeneinander getrennter Gebiete. Die Gemeinschaft ist hier niemals räumlich-statischer, sondern sie ist dynamischer Art: ein Element ist “mit” dem andern nur dadurch, daß beide sich gegeneinander behaupten und sich in dieser Gegenwirkung wechselweise “auseinandersetzen”. Jedes neu hinzutretende Element erweitert daher nicht nur den Umfang des geistigen Horizonts, in dem diese Auseinandersetzung sich abspielt, sondern sie verändert die Art des Sehens selbst. Der Prozeß der Gestaltung erweitert sich nicht nur nach außen hin, sondern er erfährt in sich selbst eine Intensivierung und Steigerung, und mit dieser ist zugleich eine qualitative Umbildung, eine eigentümliche Metamorphose gegeben. Es ist demnach nicht genug, wenn die moderne Philosophie mehr und mehr dazu übergeht, im Ganzen ihres Lehrgebäudes für die Technik irgendwie “Raum” zu schaffen. Der so geschaffene Raum bleibt, statt eines wahrhaften System-Raums, immer nur ein Aggregat-Raum. Will die Philosophie ihrer Mission treu bleiben, will sie ihr Vorrecht behaupten, gewissermaßen das logische Gewissen der Kultur zu bedeuten, so wird sie — wie sie nach der “Bedingung der Möglichkeit” der theoretischen Erkenntnis, der Sprache, der Kunst, fragt —, so auch nach den “Bedingungen der Möglichkeit” des technischen Wirkens und der technischen Gestaltung fragen müssen. Sie wird auch hier die Seinsfrage und die Rechtsfrage erst stellen können, nachdem sie die Sinnfrage von Grund aus geklärt hat. Aber diese Klärung kann nicht gelingen, solange die Betrachtung im Kreis der technischen Werke, im Bezirk des Gewirkten und Geschaffenen, verharrt. Die Welt der Technik bleibt stumm, solange man sie lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet und befragt — sie beginnt sich erst zu


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