- 154 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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Ernst Krenek: Der schaffende Musiker und die Technik der Gegenwart


abstoßend und sinnlos muß es wirken, wenn das Technische im Kontrast zum Menschen bejaht wird. Die künstlerische Gestaltung auch des widerwärtigsten Gegenstandes hat etwas Positives, weil Kunst überhaupt nicht absolut negativ sein kann, und deshalb kann das Nichtseiende, der Ungeist, nicht zum Gegenstand der Kunst werden. Es gehört zu den Bocksprüngen irregeleiteter Verblödung, daß heute gelegentlich der Versuch gemacht wird, in der Kunst die Technik mit ihren geschilderten Auswirkungen als endliche Erlösung vom Ballast des Geistes, also auch von der Kunst, zu preisen. Es ist das Bild des Chauffeurs, den sein eigenes Auto überfährt, da er es ankurbelte (K. Kraus), des Demiurgen, den seine eigenen Geschöpfe knechten, die er zu seiner Bedienung erschuf. Man kann unsere Zustände beklagen, ohne dabei den rein quantitativen Wert des in technischen Dingen investierten Geistes herabzusetzen, aber unsere Erniedrigung als hocherwünschte Seligkeit hinauszuschreien, dazu können wir durch nichts gezwungen werden. Im Gegenteil, je mehr uns die Technik zu erdrücken scheint, desto entschiedener muß die Kunst für die wahre Humanität einstehen, für Geist und Leidenschaft, Phantasie und Willkür. Jedenfalls kann auch das Ziel eines vielleicht nach sozialen Tendenzen, wie sie die Technisierung nahelegen mag, orientierten Kunstwerks nur die Befreiung des Individuums aus der sozialen Bindung sein, und keineswegs etwa die Verherrlichung einer solchen Bindung. —


Ob und inwieweit die Bestrebungen der sich nunmehr im Zwölftonsystem Schönbergs kristallisierenden Atonalität geeignet sein mögen, ein zur Verwirklichung solcher Ziele besonders qualifiziertes Material in der Musik bereitzustellen, könnte wohl mit Gründen bezweifelt werden. Ohne mich damit zu identifizieren, will ich diese Geistesrichtung hier signalisieren als eigenartige Parallelerscheinung zu den Rationalisierungsbestrebungen der Technik. Hier wird das Tonmaterial der Musik auf Grund eines wissenschaftlich konsequenten Denkaktes geordnet und bestimmten, nach bewußt erkannten Gesetzen formulierten Gestaltungsprinzipien unterworfen. Deren Wesen besteht nicht etwa in dem aus Gründen der Formgebung notwendigen Beziehungsreichtum der musikalischen Stimmen, diese kontrapunktischen Künste kannte jede andere Epoche auch, als Ausfluß artistischer Freude an versteckten Beziehungen und äußerlich kenntlicher Organik. Das Wesentliche ist hier die von Sinneseindrücken fast abstrahierende, rein arithmetische Gliederung des Materials und die zentrale Rolle, die die Kombinatorik


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