- 118 -Kestenberg, Leo (Hrsg.): Kunst und Technik 
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nur daß diese Entwicklungslinie nicht in einer steilen Kurve nach oben hin erfolgt ist. Besonders wenn wir die Erfindungen auf ihren Wert, man könnte sagen, auf ihren technischen Wert hin betrachten, müssen wir feststellen, daß wertvollste, umwälzende Erfindungen im Mittelalter nicht weniger als heute gemacht wurden. Gerade unsere heutige Zeit der Entdeckungen und Erfindungen hat uns gelehrt, den großen dauernden Wert früherer Entdeckungen richtig einzuschätzen. Man braucht nur an ein Beispiel zu denken, dessen sich ührigens auch schon die Kunst unserer Tage (Weill-Milhaud) bedient hat, um festzustellen: die Zeitgenossen eines Lindbergh verstehen die Tat eines Kolumbus als technische Leistung voll zu würdigen. Die Mittel, die Denkweisen sind verschieden, die Leistungen, die Einsetzung des Geistes und des Körpers sind zu allen Zeiten gleichwertig.


Das Mittelalter, das Zeitalter der Erfinder in Philosophie, Astronomie, Mathematik, ist auch in der Musik eine Zeit technischer Erfindungen ersten Ranges gewesen. Buchdruck, Notenstich haben die technischen Bedingungen der Musik von Grund auf gewandelt, die Entwicklung der Notenschrift, der Gesangssilben, alles deutet darauf hin, daß Technik damals bereits wesentlichen Einfluß auf die Musik ausübte. Musik steht durchaus nicht zurück in dieser Zeit der gewaltigen Erfindungen. Erfindertypen, wie wir sie etwa aus dem Parazelsus-Roman von Kolbenheyer kennenlernen, gab es auch in der Musik. Jede Erfindung und Erkenntnis auf allgemein geistigem Gebiet wirkte auch auf das Musikgeschehen ein. In den Klosterschulen saßen nicht nur Musikgelehrte, Musikschreiber, sondern auch Musikerfinder, die an der Fortentwicklung der musikalischen Technik rastlos arbeiteten. Das erwachende Bürgertum in den Städten entdeckte für sich eine neue Art der Musiktechnik; das musikalische Kunstgewerbe, gewiß der Gegenpol der industriellen Technisierung, hatte doch ein unmittelbares und lebendiges Verhältnis zur Technik, die geradezu die Kraftquelle jeden Kunstgewerbes genannt werden darf. Im Kunstgewerbe ist Technik gleichbedeutend mit Kunst überhaupt.


Alt ist die Sehnsucht, die Phänomene der Musik zu ergründen. Die akustische Wissenschaft ist keine Erfindung der Neuzeit. Akustische, tonphysiologische Grundgesetze wurden am primitivsten Instrument, dem Monochord, seit je studiert; es sei nur auf die Untersuchungen über die Temperaturen hingewiesen, die die Lehrbücher des Mittelalters ausfüllen. Auch die Lehre der Mechanik ist eine alte Wissenschaft


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