- 55 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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die Rezeption in der Öffentlichkeit andererseits - Stichwort: Ikone des Lichts - machen darauf aufmerksam, daß lebensweltlicher Zugang mit seinen unbefragten Praktiken der Kontextualisierung von Musik problematisch bleibt, daß aber auch der rein fachwissenschaftliche Zugang durch Lesen und Analysieren nicht genügt, um Pärts Musik - und durch diese den Rezipienten selbst für deren Intention - so zu erschließen, wie es in ihr angelegt ist. Offenbar bedarf es der begründeten Anregung zur Verbindung der Zugangsweisen, um damit das Vermittlungspotential der Musik voll zu erschließen.

Die zu Pärts Musik vorliegenden musikdidaktischen Anregungen sind davon unterschiedlich weit entfernt. Zwar gibt es in musikpädagogischen Zeitschriften und Schulbüchern eine Reihe von Arbeiten zu einzelnen Werken der unterschiedlichen Schaffensphasen: Zweimal wurde die Collage über B-A-C-H thematisiert, einmal das Credo; die Aliinale finden wir zweimal wie auch den Cantus in memoriam Benjamin Britten. Ferner gibt es eine Arbeit zu Spiegel im Spiegel, und mit dem Kyrie und dem Christe aus der Missa syllabica wurde wenigstens das Material für Unterricht über ein Werk mit liturgischem Text bereitgestellt. Zu vermissen ist jedoch nicht nur eine musikdidaktische Arbeit, die Pärts musikalisches Denken im Horizont seines Gesamtschaffens als Entfaltung verschiedener Möglichkeiten, sich ein und demselben anzunähern, in den Blick rückte, sondern auch eine Arbeit, die der Komplexität des Einfachen, das sich dem Ohr bietet, in der skizzierten Tragweite gerecht würde.

Die Ursache dafür dürfte in der Tendenz zu suchen sein, Pärts Musik mit dem Instrumentarium jeweils unterschiedlicher musikpädagogischer Konzeptionen zu didaktisieren. So wird sie in der werkorientierten Analyse Zechs zum Mittel der Erklärung des Tintinnabuli-Stils, in den Arbeiten Bernhard Webers und Wolfram Wallrabensteins zum Instrument der Erschließung eigener Erfahrung, ohne diese in ihrer Rückbezüglichkeit auf das musikalisch Neue für neue Erfahrungen fruchtbar zu machen. Insbesondere durch Wallrabensteins Aufsatz Schüler interpretieren die Collage über B-A-C-H wird deutlich, wie leicht Musikunterricht in die Sackgasse der Verwechslung von Sach- und Selbstdeutung gerät: Die Aufsätze der Schülerinnen und Schüler zur Musik zeigen, daß ihre Erschlossenheit für die Musik primär darin besteht, daß sie diese im Zuge eines rein empathischen Hörens als Projektionsfläche für ihre subjektive Lebenserfahrung - und nur diese - zu nutzen vermögen. Der Widerstand, den Pärts Musik gegen derartige Einseitigkeiten für denjenigen ausübt, der sich in genannter komplexer Weise ihrer Tatsächlichkeit widmet, dürfte als Fingerzeig dafür gedeutet werden, daß selbst eine didaktische Reduktion an einem Hören und Lesen nicht vorbeikommt, das der interpretierenden Erschließung der Sache gewidmet ist. Und so zeigt denn Bernd Wilms Aufsatz Ein Bild von der Unendlichkeit modellhaft die Potentialität eines hermeneutischen Vorgehens, das alle Umgangsweisen - Hören, Musizieren, Analysieren, Transformieren - sachgerecht miteinbezieht.

Pärts Musik führt uns in ihrem Widerstand gegen konzeptionelle Einseitigkeit vor Augen, daß nur ein Unterricht, der in vielfältiger Weise den Bedingungen des Lernens entgegenkommt, nicht nur ihr, sondern auch dem Anspruch der Lernenden, durch sie Anregungen zur Veränderung von Erfahrung zu erhalten, gerecht werden kann. Vielleicht liegt von daher der besondere Wert des Pärt'schen Œuvres


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