- 88 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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wesentliche Handlung sind. In Felsensteins Inszenierung eröffnet Antonias fast wütendes Üben von stupiden Etüden am Spinett diesen Akt. In dem Moment, in dem sie diese Qual nicht mehr auszuhalten scheint, erklingt das Klarinettenmotiv, das ihr Lied (Felsenstein, Nr. 20) über Hoffmanns Liebeslied einleitet. Der Musikeinsatz ist motiviert durch den konkreten Anlass der Qual einer Sängerin an den Spinett- Etüden. Die Musik wird durch Antonias Sehnsucht nach Hoffmanns Lied ausgelöst, sie muss singen. Dass der Zuschauer das Klarinettenmotiv ihr zuschreibt, geschieht nur durch eine kleine Kopfbewegung vor Einsatz des Motivs, die andeutet, dass sie sich vom Spinett löst. Dass die Erinnerung an das gemeinsame Lied erst die Erinnerung an den Geliebten hervorholt, verweist schon auf die Anlage des III. Aktes. Dass für Antonia Lied und Hoffmann nicht zu trennen sind, erklärt der Text: »Nur in Dir [dem Lied] find ich ihn [Hoffmann]. [. . . ] Nur durch ihn bin ich Dein.« Während der erste zitierte Satz noch besagt, dass der nicht anwesende Geliebte durch sein Lied bei ihr ist, benennt der zweite Satz, wem sie wirklich angehört: dem Lied, also der Kunst. Beide Sätze zusammengenommen wird deutlich: ihr Lied ist Hoffmanns Liebeslied gewidmet und ihm nur insofern, als er der Schöpfer dieses Liedes ist.

Die szenischen Verrichtungen in Felsensteins Inszenierung der zweiten Strophe verraten einiges über Antonias Lieben und sind eine Konsequenz dessen, was Antonia zum Singen bewegt. Sie verdanken sich somit dem oben skizzierten Anlass ihres Liedes. Eine Blume mit einem der Szene eigentlich unangemessen harten Griff in die Hand nehmend und einige Blätter fast beiläufig abreißend fragt sie sich, ob Hoffmann sie noch liebe. Die Szene verdeutlicht, wie wenig Antonia innerlich Hoffmann zugewandt ist, bzw. ihn nur in Bezug auf ihre Kunst wahrnimmt. Die Geste gerät – beabsichtigt – zum Klischee, sie entspringt nicht einem echten Liebesgefühl, sondern einem prätentiösen Bild von sich als Liebender. Um die Gefühle an den Geliebten tatsächlich zu fühlen, braucht sie sein Lied.

Damit exponiert Felsenstein in der ersten Szene den dramaturgischen Grundzug des Antonia-Aktes als

»Sinnbild der Kunst, die Leben und Liebe preisgibt, um der Ekstase willen, verkörpert als schwindsüchtige Sängerin, die sterben muß, wenn sie singt, und von dem dämonischen Doktor Mirakel in den Tod getrieben wird.«84

84
in Felsenstein, Walter/Melchinger, Siegfried: Musiktheater, Carl Schünemann Verlag, Bremen, S. 24

Dieses Sinnbild wiederum existiert eigentlich nur als Vision Hoffmanns, was auch erklärt, das keine der Figuren – bis auf den Komponisten Hoffmann – eine Entwicklung durchläuft.85

85
vgl. Felsenstein Schriften, S. 331
Die in der ersten Szene des Aktes etablierte Situation der Antonia, – »eine Sängerin, die keine sein darf, verbrennt an ihrer Sehnsucht«86
86
Felsenstein/Herz, Musiktheater, S. 289
– wird im Antonia-Akt auf Hoffmann bezogen.

Weil alles als Vision Hoffmanns geschieht, in der er seine Liebe zu Stella aufarbeitet, findet schon das Wiedersehen zwischen Antonia und dem Komponisten Hoffmann seinen Niederschlag nicht in einem Duett (Felsenstein, Nr. 24), das eigentlich keines ist: Die beiden singen nur wenige Takte zusammen. Im Wesentlichen


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