- 79 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Die Analyse einer Inszenierung, die eine Sichtweise des Regie-Teams im Vergleich zu einem Stück zu beurteilen versucht, geht im Fall des ›Hoffmann‹ fehl, denn Felsenstein verwirklicht minutiös die Handlung seiner Bearbeitung. Eine Sichtweise getrennt von dem Stück, das er inszeniert, lässt sich nicht ausmachen, weswegen eine Erläuterung der Inszenierung der Darstellung des Stückes zumindest ähnelt. Damit soll nicht gesagt sein, Felsensteins Inszenierung sei die einzig Richtige, sondern vielmehr, dass man dem praktischen Resultat der strengen Unterordnung des Regisseurs und der Darsteller unter ein Stück begegnet, dessen »Mitverfasser« Felsenstein ist.

Felsenstein verlangt von einer Konzeption, dass sie die erklingende Musik plausibel macht. Wie auch am ›Traviata‹-Vortrag gezeigt werden wird, wechselt Felsenstein bei der Analyse gewissermaßen die Analyse-Richtung. Es begründet eine Handlung nicht nur die Musik, sondern, um die Handlung einer Oper zu ergründen, zieht Felsenstein Schlüsse aus der Musik auf die Handlung. Die Suche nach ihrem – auf der Bühne sichtbar zu machenden – Grund konstituiert erst eine ›musikalische Handlung‹. Es gilt, die ›musikalische Handlung‹ in Felsensteins ›Hoffmann‹ nachzuzeichnen.

Am I. Akt soll deutlich gemacht werden, wie das stückbegründende Problem der Hauptfigur musikalisch exponiert wird, nämlich nicht nur im Lied von »Klein-Zack«, sondern sowohl im zitierten ›Don Giovanni‹-Duett, als auch in einer kurzen melodramatischen Unterlegung. Der Olympia-Akt soll als Hoffmanns erste Auseinandersetzung mit seiner Liebes-Enttäuschung erklärt werden, wobei die komplexe Motivik der Puppe auf Felsensteins Forderung nach »Gesellschaftskritik« bezogen wird und wie diese Forderung aus dem dramatischen Hergang des Aktes entwickelt ist. Dass auch diesen Akt der oben erwähnte konzeptionelle Grundgedanke bezüglich des Verhältnisses von Kunst und Leben durchzieht, wird an dem anschließenden Dialog in Luthers Keller gezeigt. Die Analyse der Musikdramaturgie des Antonia-Aktes verdeutlicht, dass es sich bei ihm weniger um eine tragische Liebesgeschichte als wiederum um Hoffmanns Selbstreflexion handelt. Nicht der Konflikt zwischen Hoffmann und Antonia, sondern Antonias Auseinandersetzung mit ihrem Künstlertum veranlasst die Musik. Das hat Felsenstein in bemerkenswerter Konsequenz auch inszeniert. Wenn man schließlich im Giulietta-Akt die Stationen der Handlung, die musikalisch repräsentiert sind, betrachtet, so wird deutlich, wie die Mechanik des musikdramaturgischen Fortschreitens das Venedig Dapertuttos charakterisiert und ihren Niederschlag in der merkwürdig entseelten Darstellungsweise Felsensteins findet. Zum Abschluss des Kapitels wird nochmals der Rahmen, den das »Klein-Zack«-Lied bildet, in den Blick genommen und nachgewiesen, wie inhaltlich stimmig vor dem Hintergrund seiner konzeptionellen Grundannahme Felsenstein diesen Rahmen inszeniert.


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