- 78 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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erforschen, wie Musik konstitutiv für die Handlung wird. Eine solche Betrachtungsweise erforscht die Durchdringung, die Einheit der Musiktheater-Elemente Musik und Handlung, was den entscheidenden Konsequenzen für die Stück-Dramaturgien Rechenschaft trägt.

Dieser Zugriff subsumiert nicht die Frage nach der Musik im Theater unter jene, was der Opernkomponist vertont, denn Musik wird nicht als Medium betrachtet, in das eine formulierbare Aussage übertragen wird, als akustische Bebilderung von Wort oder Handlung. Dadurch würde die autonome Welt der Musik ebenso wie ihre konstitutive Kraft für die Handlung übersehen. Nicht eine zur Handlung passende Musik, sondern Musik als theatralische Handlung konstituiert Musiktheater.

An der Analyse der Verfilmung von ›Hoffmanns Erzählungen‹ soll also Felsensteins konzeptioneller Grundgedanke, dass in der Figur des Hoffmann das Verhältnis von Kunst und Leben reflektiert wird, dass nämlich die drei Frauengeschichten künstlerische Aufarbeitungen der eigenen Biografie zu dem Zwecke sind, wieder künstlerisch produktiv sein zu können, als musikdramaturgisch begründeter Gedanke erläutert werden. Die Frage nach dem jeweiligen Anlass der Musik führt so z. B. im ›Antonia‹-Akt der ›Hoffmann‹-Verfilmung dazu, den diesem Akt wirklich zugrunde liegenden Konflikt nicht im Liebesverhältnis Hoffmann-Antonia, sondern in Antonias Verhältnis zur Kunst zu erkennen. Also wird die Antwort auf die Frage nach dem Anlass von Musik in der Handlung gefunden, gleichzeitig führt sie auch auf die Handlung zurück.

Eine Analyse des ›Hoffmann‹-Filmes von Felsenstein steht vor einer gewissen Problematik. Mit diesem Werk liegt ein Torso vor, die Quellenlage ist äußerst kompliziert.65

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Auf den Stand der Forschung zu Offenbachs ›Hoffmanns Erzählungen‹ wird hier nicht eingegangen, da diese Arbeit sich mit Felsensteins Theaterarbeit befasst. Zudem ist er hervorragend dokumentiert in dem von Gabriele Brandstetter herausgegebenen Band Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen, Laaber Verlag 1988. Besonders hervorzuheben scheint mir darin die überaus gründliche Darstellung der Quellenproblematik von Didion, Robert: A la recherche des Contes perdus. Zur Quellenproblematik von Offenbachs Oper, ebd. S. 131ff. Die jüngste Fassung, sogenannte Kaye-Fassung, wird aus dem gleichen Grund nicht hinzugezogen.
Felsenstein selbst schildert, dass er vor einer Inszenierung lange zurückgeschreckt sei, weil es dieses Werk als abgeschlossenes nicht gibt. Letztlich hat er eine Bearbeitung angefertigt, die scharf angegriffen wurde.66
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Offenbach, Jacques: Hoffmanns Erzählungen, Phantastische Oper in fünf Akten. Unter Benutzung des gleichnamigen Schauspiels von Jules Barbier und Michel Carré (1851) neubearbeitet von Walter Felsenstein. Musikalische Einrichtung von Karl-Fritz Voigtmann, Weinberger, Wien, Frankfurt/M., 1958 (Klavierauszug)
Bedauerlicherweise beansprucht die Bearbeitung im Vorwort des Klavierauszugs, aus Quellenstudium und der Verpflichtung gegenüber Offenbachs Intentionen hervorgegangen zu sein. Sie wird aber diesem Anspruch keinesfalls gerecht, sondern weist massive Eingriffe vor allem in den Notentext auf.67
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Dabei wurde Felsenstein vor allem vorgeworfen, durch seine Eingriffe in die musikalische Struktur das Werk, an den gattungsspezifischen Wesenszügen der opéra comique gemessen, verzerrt zu haben. Egon Voss differenziert dabei ausdrücklich zwischen Felsensteins Inszenierung und seiner veröffentlichen Bearbeitung. Der letzteren wirft er vor, unredlich Authentizität durch Quellenforschung zu beanspruchen, obwohl seine Quellenforschung ungenügend sei und falsche Behauptungen beinhalte. Vgl. Voss, Egon: Offenbachs Hoffmann in Felsensteins Erzählungen, in: Csampai, Attila/Holland, Dietmar (Hrsg.): Jacques Offenbach. Hoffmanns Erzählungen. Texte, Materialien, Kommentare. Reinbek: Rowohlt 1984, S. 294ff. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Robert Didion. Vgl. Didion in: Brandstetter, S. 161f. Wenn auch nicht so polemisch, aber ähnlich im Vorwurf, urteilt Anna Eisenberg in: Eisenberg, Anna: Jacques Offenbach: »Hoffmanns Erzählungen«. Analyse der szenischen Bearbeitungen. Diss. Köln 1973, S. 269ff.


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