- 61 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Demnach zeige sich die Handlung eines Stückes im jeweiligen »situationsbedingten Zustand des Darstellers und seiner diesem Zustand entsprechenden Äußerung«.26
26
ebd., S. 187
Der »im dramatischen Vorgang befangene Mensch« gerate in Zustände. Diese Zustände würden geäußert und damit fürs Publikum wahrnehmbar und verständlich. Im Musiktheater sind das vor allem gesungene Äußerungen. Singen ist hier keine geschmackvolle Zutat, sondern Sprechhandlung im musikalischen Raum. Folglich müssten die Zustände so beschaffen sein, dass sie klingend geäußert werden können: Das Singen bestimmt die Qualität der Zustände handelnder Personen und damit die dramatische Handlung.

Wenn ›Handlung‹ als die wesentliche Substanz eines Stückes und Kern einer Theateraufführung anerkannt wird,27

27
»Die Handlung – im umfänglichsten Sinne – ist seit jeher das Grundelement des Theaters, die für jegliches Bühnendasein bestimmende Kraft.« ebd., 141
muss die Handlung im Musiktheater als eigene Kunstform eine musikalische sein. Dann leistet Handlung die »Besonderung« der abstrakten Innerlichkeit. Dadurch gewinnt Musik die Qualität, konkrete Inhalte im Bewusstsein des Zuhörers zu wecken. Sie wird in dem Sinne dramatische Musik, als sie theatralische Wirkungen zu entfalten in der Lage ist, ohne konkrete »Anschauungen oder Vorstellungen« zu schildern.

»Wenn sich daher die Musik auch als begleitende Kunst mit der Poesie oder umgekehrt die Poesie sich als verdeutlichende Dolmetscherin mit der Musik verbindet, so kann doch die Musik nicht äußerlich veranschaulichen oder Vorstellungen und Gedanken, wie sie als Vorstellungen und Gedanken vom Selbstbewußtsein gefaßt werden, wiedergeben wollen, sondern sie muß [...] diejenige Empfindung selber, welche der Inhalt von Anschauungen und Vorstellungen in dem ebenso mitempfindenden als vorstellenden Geistes erregen kann, durch ihre die Poesie begleitenden und vereinigenden Töne auszudrücken suchen.«28

28
Hegel, S. 152

Der zuletzt geäußerte Gedanke Hegels ist für die ästhetischen Überlegungen zur Oper besonders interessant. In der Oper werden »Anschauungen und Vorstellungen« innerhalb einer Handlung dargestellt. Die Aufgabe der Musik, die Hegel als »begleitende Kunst« charakterisiert, besteht einerseits gerade nicht darin, sich von diesen Äußerlichkeiten zu befreien, denn das würde bedeuten, dass sich die Musik vom Inhalt trennt,29

29
Opern, in denen Felsenstein die Ablösung der Musik vom dramatischen Inhalt zu erkennen glaubte, beurteilte er als theatralisch ungültige Versuche.
sondern »den inneren Sinn der Sache und Empfindung zu seinem Gehalt« musikalisch auszudrücken, denn so »dringt (sie) mit ihren [der Musik] Bewegungen unmittelbar in den inneren Sitz aller Bewegungen der Seele ein«.30
30
Hegel, S. 154

Insofern ist das selbstreflexive Moment der Musik nicht nur in der Art und Weise, wie sie auf den Zuhörer wirkt, festzustellen, sondern auch in Bezug darauf, was sie darstellen kann, nämlich eine den Inhalt umkleidende Empfindung, also die innerliche Erscheinungsform eines Inhaltes:

»Denn wie sehr die Musik auch einen geistigen Inhalt in sich aufnimmt und das Innere dieses Gegenstandes oder die inneren Bewegungen der Empfindung zum Gegenstande ihres Ausdruckes macht, so bleibt dieser Inhalt, eben


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