- 52 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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dass der musikalische Gehalt im szenischen Vorgang aufginge. Im Gegenteil, die Musik erklingt während der szenischen Realisation, das Kunstwerk Musiktheater integriert gerade szenische Gegenständlichkeit und musikalische Ungegenständlichkeit. Zusammen bilden beide die Erscheinungsform von Musiktheater.

Mit Felsensteins Opernverfilmungen liegt das konkrete Ergebnis einer Arbeit vor, die nicht die theoretische Unmöglichkeit der Vergegenständlichung von ungegenständlichen, weil musikalischen Prozessen reflektiert, sondern gerade das Gegenteil zum praktischen Ausgangspunkt hat, nämlich den Anspruch, dass im Musiktheater »alles Sichtbare [ist] ebenso Musik wie alles Hörbare Handlung wird«.4

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Felsenstein, Schriften S. 190
Der Auffassung, szenische Umsetzungen von musikalischen Prozessen könnten nicht ›adäquat‹ sein, aus Musik könnten keine oder nur begrenzte Informationen für ihre Umsetzung in andere (in diesem Fall szenische) Medien zu erschließen sein, soll im Folgenden widersprochen werden. Weder wird durch den prinzipiellen Zweifel die Unmöglichkeit einer solchen Umsetzung begründet, noch die Beschaffenheit der Umsetzung bestimmt. Darum soll gerade die Beschaffenheit dieses »Zusammenseins« von Musik und Szene untersucht werden und zwar anhand von Szenen, als deren Herkunft von ihrem Regisseur die Opernmusik behauptet wird. Um weder der vermeintlichen Unmöglichkeit, musikalische Prozesse im Hinblick auf ihre Bedeutung oder ihre Transformation in gegenständliche Medien »lesen« zu können, das Wort zu reden, noch das Problemfeld zu ignorieren, auf das diese Ansicht rekurriert, scheint ein Versuch hilfreich, das Verhältnis des Musikalischen zu ›Gegenständlichkeit‹ und zu ›Begrifflichkeit‹ in den Blick zu nehmen. Denn diese beiden Verhältnisse konstituieren das Musiktheater, nämlich als dessen Szene und als Libretto.

Felsensteins Forderung an das Musiktheater, es müsse die Partitur als Regiebuch realisieren, bedeutet, dass szenische Verrichtungen in einer vornehmlich musikalisch bestimmten (Kunst-)Wirklichkeit geschehen und gipfelt letztendlich in dem Begriff der »musikalischen Handlung«, der an gegenständlichen (Szene) und begrifflichen (Libretto) Vorgängen gerade eine genuin musikalische Qualität betont. Die ihr angemessene szenische Darstellung einer musikalischen Handlung wäre dann Musiktheater. Theater würde vollkommen in der Sphäre der Musik stattfinden und dort seine Konstituenten zu einem musikalisch-theatralischen Gesamtkunstwerk integrieren. »Musiktheater ist, wenn eine musikalische Handlung mit singenden Menschen zur theatralischen Realität und vorbehaltlosen Glaubhaftigkeit wird.«5

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Felsenstein, Schriften, S. 45

Musik nicht als dekoratives Anhängsel zufällig erklingend, sondern als Wesen einer Theaterform begriffen, führe zum Musiktheater und zwar über den Begriff der »musikalischen Handlung«. Nur sie bringe Situationen hervor, in denen ein Mensch seinen Zustand »nurmehr singend« (Felsenstein) äußern könne.

Dagegen könne Musiktheater nicht entstehen, wenn die Bemühungen darauf hinausliefen, dass der Darsteller zu einer bestimmten Musik eine passende Verrichtung auf der Bühne ausführe oder Bewegungsabläufe gesucht würden, die den Gesang


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