- 46 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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der Schauspieler rekurriert, enthobene Zustände – enthoben sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer Benennbarkeit eben als musikalische. Beides verlangt eine besondere Vorbereitung der Darstellungsweise des Sängers.

Felsenstein benennt das zu überwindende Problem als

»funktionelle Spaltung des Darstellers, seine Schwierigkeit, oft Unfähigkeit, den beabsichtigten Ausdruck mit seiner Gesangstechnik zu identifizieren.«96

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Felsenstein Schriften, S. 138

Diese Spaltung bedinge eine »Unfreiheit des Sängers«. Er sei sich widersprechenden Anforderungen ausgesetzt, die auf zwei grundsätzliche dem Musiktheater entgegenstehende Ansichten zurückzuführen seien: Der Forderung nach Schöngesang ohne Darstellung und der Forderung nach szenischen Vorgängen, die, weil sie nicht aus dem Gesang gewonnen sind, den Gesang behindern.

Im Weiteren soll die Arbeit des Sängers, die Felsenstein ausgesprochen klar in einem seiner grundlegenden Aufsätze, »Methodische Grundfragen des Musiktheaters«97

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Felsenstein, Schriften, S. 134–145
, dargelegt hat, in seine Überlegungen zum Musiktheater eingeordnet werden. Alle folgenden Ausführungen Felsensteins sind dem oben genannten Aufsatz entnommen.

»Er [der Sänger] muß geistig und durch geeignete Ausdrucksübungen lernen, die physisch – phonetische Funktion der Stimme in seinem Bewußtsein zurückzudrängen zugunsten der besonderen Aussage, er muß die Gewohnheit des Singens vergessen.«98

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ebd., S. 139

Felsenstein fasst im vermeintlichen Widerspruch der »Gewohnheit des Singens« eine bühnenpraktische Schwierigkeit des Sängerdarstellers. Ihm ist durch langjährige Ausbildung und oft monatelanges Einstudieren einer Partie das Singen zur Gewohnheit geworden. Dies äußert sich nicht nur in durch die stimmlichen Anforderungen initiierten Bewegungen – die beliebtes Material noch jeder Opernparodie sind – , sondern vor allem darin, dass der Sänger seinen Gesangspart nicht mehr als dem darzustellenden Zustand adäquates Ausdrucksmittel begreift, sondern als etwas von der Bühnendarstellung Getrenntes. Dadurch kann weder das Singen zum theatralisch-dramatischen Ausdrucksmittel werden noch kann der Darsteller den nur musikalisch auszudrückenden Zustand vollkommen erfassen.

Felsenstein hebt in seiner Kritik an der »Gewohnheit des Singens« auf die Anforderung ab, dass der singend zum Ausdruck gebrachte Zustand notwendig ein außergewöhnlicher sein müsse.

»Indem er sich auf das besinnt, wofür er singt, indem er nachspürt, warum eine Phrase so und nicht anders komponiert ist, entdeckt er den Anlaß zum Singen, er kommt den Absichten des Komponisten auf die Spur, er begnügt sich auch nicht mehr mit dem Gesangspart allein, er fühlt den Zusammenhang mit dem Instrumentalpart, die Kenntnis der Partitur wird ihm unentbehrlich.«99

99
ebd., S. 140


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