- 22 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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im Menschen. Davon kann sich der Mensch befreien, weil es ihm möglich ist, sich gegen seine Naturbestimmtheit zu entscheiden. Als Mensch kann er »frei« wollen, als vernunftbegabter will er recht handeln. In der Möglichkeit, recht zu handeln, steckt die Freiheit vom Naturtrieb. Wird diese Freiheit der Einbildungskraft vorgeführt, reagiert sie mit Lust, weil sie an Freiheit interessiert sein muss. Der Mensch bekommt Lust auf Freiheit, Inhalt dieser Freiheit ist Moralität. Auf diesem Weg weist Schiller der Kunst, nachdem er die Einbildungskraft als für moralische Gesetze unzugänglich bestimmt hat, eine sittliche Aufgabe zu.

Schiller pointiert den Gegensatz von Moral und Ästhetik: Fordert man von der Ästhetik, moralisch zu sein, fesselt man die Freiheit der Phantasie und zerstört die Notwendigkeit der Vernunft durch die Willkür der Einbildungskraft.32

32
vgl. dazu v.a.: ebd. S. 536f.
Dass Kunst bloßes Spiel im Reich der Phantasie sei, will Schiller, wie gezeigt, damit nicht gesagt haben. Im Gegenteil, aus ihrer Zugehörigkeit zur Sinnlichkeit leitet Schiller ihre besondere Qualität ab: Die Kunst kann und soll dem Menschen die Moral lustvoll näherbringen.

Wie sich diese von Felsenstein geteilte Kunstauffassung in einer Rollenkonzeption niederschlägt, wird im Folgenden am Beispiel der Susanna aus Mozarts ›Hochzeit des Figaro‹ erläutert. Das Beispiel soll Felsensteins bestimmtes Interesse an einer Bühnenfigur und -handlung verdeutlichen. Dazu sei eine längere Ausführung Felsensteins zur Rollenanlage der Susanna angeführt:

»Wenn wir sie [Susanna] zum erstenmal sehen, ist sie völlig von den Vorbereitungen ihrer bestehenden Hochzeit in Anspruch genommen. [...] Und Figaro ist nicht minder glücklich. Und plötzlich wird dieses Glück gestört, im wörtlichen Sinne: verstört, durch Susannas Entdeckung, daß Figaro unwissentlich dem Grafen den Zugang zum künftigen Schlafzimmer des Ehepaares leicht zu machen wünscht. Susanne ist rabiat. Die Art, wie sie Mozart, wenn man ihn wörtlich nimmt, darauf reagieren läßt, führt zu dem Schluß, daß es kaum jemals eine Frau geben wird, die so treu ist wie diese Susanne ihrem Figaro. [...] Fünf Minuten später erleben wir aber, wie diese selbe Susanne, die eben noch ihrem Figaro energisch den Kopf gewaschen hat, den Grafen, der sie bedrängt und dem sie sich mit List entzieht, keineswegs eindeutig ablehnt. Im Gegenteil, sie genießt geradezu die Verehrung, die ihr da entgegengebracht wird. Sie spürt mit raffiniertem Instinkt, daß sie für den Grafen etwas anderes bedeutet als diese kleinen Barbarinas, daß er tatsächlich verrückt nach ihr ist [...]. Und diese wachsende Leidenschaft, mit der sie begehrt wird, bereitet Susanne ein mehr als nur vorübergehendes Vergnügen [...] Immer, bis zur Rosenarie und zum letzten Finale, ist Susanne bei Mozart dieses erotisch vielfältige, dieses geniale Weibwesen. Sagen wir: die Eva schlechthin, trotzdem – aber auch das treueste Weib, das es je gegeben hat. Sie spielt mit der Sünde, sie braucht dieses Spiel mit der Sünde. Aber sie liebt, und das geht über alles.«33

33
in: Felsenstein/Melchinger, S. 75 f.

Die Treue ist das die Figur der Susanna bestimmende »menschliche Grundgefühl«. Durch den Grafen wird Susannas Treue ernsthaft auf die Probe gestellt. Erstens, weil die Gefühle des Grafen für Susanna bedeutend sind und zweitens, weil Susanna eine »Eva«, eine Person, die erotisch empfindet, ein liebendes Wesen ist.


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