Die harmonische Abfolge des accompagnatos verdeutlicht diesen Gedanken. Violetta
beginnt unbegleitet in As, der Tonart des vorhergehenden Chorstückes, mit den
Worten »Wie seltsam«. Dann folgt auf dem Ton es »Ins Herz drang mir jedes
seiner Worte« [Alfreds]. Auf »Worte« erreicht sie das e. Von den Streichern
in forte begleitet erklingt E-Dur ohne Modulation! Die Erinnerung an sein
›Wort‹ reißt Violetta von As-Dur in den davon entfernten E-Dur-Klang. In
E-Dur stellt sie sich auch die Frage »Wär’ es für mich ein Unglück, ernsthaft zu
lieben«, bevor ihr neues Liebesgefühl sie ergreift. Dass sie hier noch nicht vom
Liebesgefühl erfüllt ist, sondern an dessen Konsequenzen denkt, beweist das E-Dur: Ihr
Liebesgefühl erklingt später selbstverständlich in F-Dur, der Tonart des arioso
Alfreds. Aus der As-Dur-Welt des Festes ›riss‹ sie ihr Gedanke an Alfreds Worte
nach E-Dur. Die Tonart ihres Liebesgefühls, F-Dur, erreicht sie durch eine
unbegleitete Modulation (Takt 14f.). Das F-Dur wird jedoch sofort zur Dominante von
b-Moll. Erst in ihrer Arie ›erinnert‹ sie sich in F-Dur an Alfreds arioso aus dem
Duett.
Die Arie beginnt in f-Moll, der parallelen Molltonart zum As-Dur der Festgesellschaft des »Aurora«-Chores und gleichnamigen Moll-Tonart zum F-Dur des Arioso Alfreds. Diese Tonarten-Beziehungen verweisen wiederum auf den von Felsenstein festgestellten Zustand der Violetta. Er ist durch die Bewusstwerdung dieser Gefühlssituation in all ihrem Widerstreit zwischen Violettas alter Welt und der neu entdeckten Liebe gekennzeichnet. Diesem Widerstreit widmet sich die Arie Violettas. Sie ist konventionell aufgebaut. Im strophisch mit Refrain angelegten Andantino thematisiert Violetta ihr neu gewonnenes Liebesgefühl, das sie im accompagnato reflektierte. Den Refrain bildet Alfreds arioso aus dem Duett, das nun sie singt, sie hat ihre Liebe zu Alfred eingestanden. In der Kabaletta will sich ihre alte Existenz durchsetzen. Es ist ein brilliantes Musikstück voller Koloraturen und Verzierungen. Sowohl in der Kabaletta als auch in deren Coda erklingt wiederum Alfreds arioso, diesmal von ihm – unsichtbar – gesungen.233
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