nicht nur theoretisch klar machen, sondern sie
zwingen, den Alfred tatsächlich dort sitzen zu sehen. Und eine andere
Erklärung gibt es nicht, um diesen eben lektorierten Ausbruch des Rezitativs
plötzlich zu unterbrechen und mit dieser starren staccato [...] ich wage
nicht, ich wage nicht, laut zu sein, ich wage nicht, den Mund zu öffnen,
sonst ist dieses Wachtraumgesicht verschwunden. Geh nicht weg, bleib da!
›Ist es nicht er, der [...].‹ [Felsenstein flüstert den Arienbeginn, vom Korr.
begleitet].«229
Der dramatisch wesentliche Gedanke Felsensteins besteht darin, das accompagnato als ein Bekenntnis Violettas gegen ihre nun ehemaligen Freunde aufzufassen. Wie gelangt Felsenstein zu dieser Ansicht? Ausgangspunkt seiner Analyse ist – neben der beachteten Stückhandlung insgesamt – das direkt vorhergehende Chorstück, der sogenannte Aurora-Chor. Nachdem Violetta und Alfred sich im Duett ihre Liebe gestanden haben – Felsenstein fasst die Kadenz als ein »Symbol eines Liebesaktes«230
Felsenstein räumt ein, dass sich eine Pariser Lebewelt so nicht benimmt. Die extremen musikalischen Mittel, die Verdi verwendet, veranlassen Felsenstein zu folgender Erklärung: »Sie [die Pariser Gesellschaft] würde weder so singen, noch sich so benehmen, da sie eben bessere Manieren haben und etwas ästhetisch sind, er [Verdi] sieht es aus dem Blickwinkel einer bereits verwandelten Violetta. Wahrscheinlich müsste man dieses Stück, diesen Chor, ganz anders komponieren, um ihn dem Publikum vorzuführen. Er wird aber hier nicht dem Publikum vorgeführt, sondern es wird hier der Violetta vorgeführt. Es wird uns vorgeführt, wie Violetta jetzt die Welt, zu der sie bis jetzt gehört hat, sieht. Verzerrt, wie in einem Traum, grotesk, phantastisch, schauerlich.«231
Angesichts dieses fast traumatischen Erlebnisses, die eben noch als Freunde bezeichnete Pariser Lebewelt mit den Augen einer Frau, die gerade ihr Herz entdeckte, zu sehen, singt Violetta den Beginn des accompagnato »Wie seltsam«. Violetta drückt |