- 145 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Zwischenspiel markiert den Vorgang der an der Tafel Platz nehmenden Gäste. Das bloße Hinsetzen kann jedoch noch kein Vorgang sein, der 16 Takte Musik bedarf. Felsenstein entwickelt aus den bisherigen Geschehnissen, dem Interessensgefüge der anwesenden handelnden Personen, eine logische Sitzordnung. Deren spezifische Anordnung verdankt sich den Absichten der Gastgeberin Violetta:

»Ich brauche natürlich, wenn ich überhaupt der Meinung bin, dass das nicht gleichgültig ist, die 16 Takte unbedingt, um als Violetta diejenigen, die ich an meinem Tisch aus bestimmten Gründen haben möchte, so zu setzen und zu ordnen, dass ich das, was ich vorhabe, am besten durchführen kann.«216

216
ebd., S. 16

Im Weiteren ordnet Felsenstein die wesentlichen Tischnachbarn einander zu. Entscheidend für den Fortgang ist jedoch, dass er Violetta vor dem Baron Douphal, dessen Mätresse Violetta ist, Alfred einen Platz anbieten lässt. Das begründet Baron Douphals Zorn, der sich später nach einigen Sticheleien Violettas, die dem Baron seine Desinteressiertheit an ihrem Krankenschicksal im Unterschied zu Alfreds Aufmerksamkeit entgegenhalten, entlädt. Das so verstandene Anweisen der Plätze durch Violetta wird zu einer zentralen aus dem Gang der Handlung entwickelten szenischen Verrichtung, die den weiteren Verlauf der Handlung fortschreibt und anschließende szenische Vorgänge bedingt. Alle weiteren Handlungen der involvierten Figuren geschehen auf der Grundlage dieser Sitzordnung. Es liegt auf der Hand, dass eine der Figurenkonstellation nicht gemäße Tischordnung zu äußersten Schwierigkeiten bei der szenischen Verwirklichung und zu Missverständnissen seitens des Publikums führen muss. Außerdem stellt die Tischordnung den Stand der Figuren zueinander nochmals klar. Insofern erscheint Verdis Zwischenspiel durchaus berechtigt – weil der Stückhandlung zugehörig -, wenn die oben beschriebenen szenischen Verrichtungen es nötig und klar machen.

Ebenso passt diese Musik zu der von Felsenstein vorgeschlagenen Handlung: Es ist keine ausdrucksstarke individualisierende Musik, es ist selbstverständlich das Festthema. Das soll jedoch gerade nicht bedeuten, dass diese szenische Handlung belanglos ist. Diese aus dem Gang der Stückhandlung folgerichtig von Felsenstein entwickelte szenische Verrichtung findet ihre klingende Entsprechung in einer ›unpersönlichen‹ aber notwendigen Musik. Ihre Notwendigkeit erhält sie nicht dadurch, dass sich sieben Solisten und der Chor an Tische setzen müssen, sondern dadurch, dass die von Violetta eingeforderte Tischordnung die Brisanz der Figurenkonstellation widerspiegelt. Ob Verdis 16 Takte Zwischenspiel genau dies bedeuten, ist eine müßige Frage. Festzuhalten bleibt hingegen, dass in Felsensteins Handlungsführung die Musik nicht als »Begleitstimulans« fungiert, sondern dramatische Handlung ist.

»Es soll also, soweit das in der kurzen Zeit möglich ist, bewiesen werden, dass bei einem Meister-Musikdramatiker wie Verdi jeder Takt seiner Musik für ein bestimmtes Anliegen, für eine bestimmte Handlung geschaffen ist, dass keine Musik als Stimmungsmache oder unverbindliches Begleitstimulans da ist, sondern Handlungsaussage bedeutet.«217

217
ebd., S. 1


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