- 130 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Die ›Äußerungen und Aktionen‹ auf der Bühne werden aus der Konzeption heraus entwickelt. Die Entscheidung über ›richtig und falsch‹ der Konzeption sieht Felsenstein in der Partitur festgelegt. Da jedem Werk des Musiktheaters eine »echte theatralische Vision zugrunde liegt«,182
182
ebd., S. 60
bedeutet das geforderte ›Dechiffrieren‹ einer Partitur, diese ›Vision‹ zu einer Konzeption auszuarbeiten, die es ermöglicht, die in einer Partitur notierten Intentionen des Komponisten auf der Bühne sichtbar zu machen. Das Sichtbarmachen umfasst zwar auch die optische Konzeption, das Bühnenbild, aber die Hauptaufgabe auch der Konzeption liegt darin, zu verdeutlichen, was durch den Sänger zur Darstellung gelangen soll. Und dieses sind zunächst musikalische Verläufe, die in eine Handlung eingebunden und durch den Darsteller personalisiert, ihre theatralische Kraft entfalten können.

»Jede instrumentale und vokale Tonfolge ist dramatische Aktion, und alle dynamischen, metrischen und Tempoangaben sind in erster Linie nicht technische, sondern Ausdrucks-Bezeichnungen.«183

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ebd., S. 122

Wenn die Konzeption dem Werk entspricht, so gilt für Felsenstein: Die für sich erklingende Musik hat keine Daseinsberechtigung im Musiktheater. Erst wenn sie einer Figur zugehörig, Ausdruck eines in einer bestimmten Situation sich befindenden Menschen, kurz: eine Äußerung geworden ist, stellt Musik etwas dar. Die Konzeption beinhaltet also neben dem Bühnenbild eine lückenlose Schilderung

  • der Zwecke, die die handelnden Personen verfolgen, sowie
  • der dramaturgischen Begründung aller vorkommenden musikalischen Äußerungsformen (Arie, Duett, Ensemble, Chorstücke, Zwischenspiele, etc.), ihrer sinnfälligen Verläufe und
  • der daraus entwickelbaren Charaktere der handelnden Personen.

Felsensteins Begriff von einer Konzeption ist folgendermaßen strukturiert: Ausgangspunkt sind die Ergebnisse des Werkstudiums, ein möglichst exaktes Wissen über die betreffende Oper. Dadurch, dass das Wissen im praktischen Kontext von Theater für die Bühne produktiv gemacht wird, erscheint es als Substanz der gedachten Vorgänge auf der Bühne. Diese Substanz muss potentiell – d. h., dann, wenn sie auf der Bühne Realität wird – stark genug sein, »es [das Publikum] zur Teilnahme zu zwingen«.184

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ebd., S. 91
Neben der Übereinstimmung mit dem Werk erweist sich die potentielle Kraft, auf den Zuschauer zu wirken, als das zweite Kriterium der Konzeption. Es ist der Funktion der Konzeption entnommen und soll letztendlich ihre Verbindung mit der aktuellen Realität (des Schaffenden wie der Zuschauer) verbürgen.

Da ein selbstverständliches theatralisches Verständnis des jeweilig aufzuführenden Stückes nicht auszumachen ist, scheint eine Konzeption nötig zu sein, die sowohl das erworbene Wissen um das Stück als auch seine aktuelle Relevanz in sich trägt und dadurch ein notiertes Werk theatralisierbar macht. Keineswegs jedoch verlangt diese Theatralisierung vordergründige Aktualisierungen oder Deutungen, die sich


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