Dies
müssten wiederum spiegelbildlich ihre Untergebenen, Graf Oscar und Popolani, tun, sie
tun es aber aus Menschlichkeit nicht. Felsenstein hat durch stilistische Unterschiede bei
der Rollengestaltung jedoch erreicht, dass nicht erst im letzten Finale, in dem die
Machenschaften der beiden auffliegen, sich Boulotte als eigentlicher Gegenspieler
entpuppt. Felsenstein stellt von Anfang an klar, dass Boulotte sich von allen anderen
Figuren prinzipiell unterscheidet; und zwar dadurch, dass sie keine Karikatur ist. Durch
ihre Darstellungsweise etabliert Felsenstein Boulotte als merkwürdigen Fremdkörper in
dieser Bobèche-Blaubart-Welt und damit von Anfang an als Gegenspieler deren ganzen
Personals. Alles, was sie tut, tut sie mit ganzer Kraft, keine Verstellung schwächt
sie, keine Wünsche, die einem Machttrieb weichen müssen, führten bei ihr zu
Deformationen. In den anderen Figuren ist ihre jeweilige Gesellschaftlichkeit
karikiert, Boulotte dagegen lebt gewissermaßen als ein Naturwesen, sie lebt als
Verkörperung des Eros für ihr lebendiges Begehren. Deutlich wird schon im
ersten Dialog mit dem inkognito-Schäfer Daphnis, wenn sie ihm mitteilt, ihn zu
lieben, dass Boulotte nicht zum Topos des mannstollen Weibsbildes zu zählen
ist (›Ich liebe dich aus vielen Gründen! Vor allem bist du so geheimnisvoll!
Niemand weiß, woher du kommst und wer du bist. Ich kenn’ dich nicht und
möchte dich so gerne kennen!‹). Die Verknüpfung des erotischen Begehrens mit
dem Motiv des Erkennens hebt sie weit darüber hinaus. Ebenso lässt sie ihre
Freiheitsliebe Blaubart in dem Moment, in dem er sie heiraten will, Bedingungen
stellen.
Die Kraft, die ihr in Felsensteins Inszenierung die Freiheit von jeder Gesellschaftlichkeit – aufgefasst als Zwang zur Sublimierung der eigenen Natur – gibt, lässt sie auch im Handkuss-Walzer den Eklat am Hof Bobèches herbeiführen. Nachdem alle Höflinge der Reihe nach in höfischer Vollendung buckelnd seine Hand küssten, verlangt Bobèche eben denselben Kuss auch von Boulotte. Die küsst ihn jedoch direkt auf den Mund, was sowohl beim Hof zu größtem Aufruhr, als auch bei Bobèche zu entgeisterter Begeisterung führt, die wegen der Verwirrung seiner Sinne bis zum Aktschluss anhält. In der allgemeinen Verwirrung, die Boulottes Verhalten auslöst, kann er auf Zehenspitzen auf seinem Thron stehend nur mit Mühe durch Graf Oscar davon abgehalten werden, der abgehenden Boulotte nachzustürzen. In letzter Konsequenz stellt Felsenstein die Ungebrochenheit Boulottes jedoch im Finale des letzten Aktes klar, in dem sie schlichtweg erklärt, dass man angesichts der Macht der ›Großen‹ dieses Stück nicht mehr weiterspielen könne. Hier weicht der Blaubart-Film vom Dialog des Offenbach-Stückes. Felsenstein lässt Blaubart auf die Frage Boulottes ›Hätten Popolani und Graf Oscar Ihren blut’gen Auftrag ausgeführt – Was wäre jetzt?‹ antworten: ›Ihr wäret tot‹. Die Entrüstung darüber lässt Boulotte das Spiel unterbrechen und den Zuschauern mitteilen, so könne man nicht weiterspielen. Der Dialog im Stück beinhaltet diesen Satz nicht. Vielmehr stellt Boulotte dort fest ›Die Großen haben wieder Glück!‹ und löst das unglaubwürdige happy-end aus (›Die Lösung ist ganz undramatisch und sehr einfach: Sieben Männer – sieben Frauen! Jeder Kavalier nimmt eine Dame, und wir machen siebenfache Hochzeit!‹). Der Durchgang durch die dramatis personae des Stückes verdeutlicht die verwirrend vielfältige Funktion des Parodistischen in Felsensteins Inszenierung: Felsenstein setzt im I. Akt die Parodie ein, um das konstruiert-spielerische des |