- 105 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Den Hinweis Graf Oscars, an Bobèches Hof sei ein Höfling mehr verschwunden, weist Bobèche entrüstet zurück, »Kannst du das vergleichen?!! Ich bin König über Millionen/Untertanen – er ein kleiner Fürst, dem man das Handwerk legen, dessen Frevel/man bestrafen muß! Ich greife durch!«116
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s. Offenbach, Jacques: ›Ritter Blaubart‹. Neue deutsche Übertragung von Walter Felsenstein und Horst Seeger, Musikalische Einrichtung: Karl-Fritz Voigtmann, KA, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, S. 100
Mit dem Hof Bobèches ist die bürgerliche durch Konkurrenzprinzip, Machtgier und Verklemmung pervertierte Welt karikiert. Ausgesprochen deutlich wird dies in der ›intimen Szene‹, einem Gespräch mit der königlichen Familie und Prinz Saphir, das zur Karikatur bürgerlicher Fassade wird, hinter der langjähriger Ehekrach und Generationenkonflikt mit der zickigen Tochter toben.

In der Figur des Blaubarts dagegen ist der Typus des gefährlichen Verführers karikiert, der zwar zu seinen sinnlichen Wünschen steht und auch so ziemlich macht, was er will, jedoch verkommt jedes Begehren zu einem triebhaften Konsumieren. Die Objekte seines Begehrens müssen sterben. Übrigens besteht in genau diesem rudimentären Kontakt zu seiner eigenen Sinnlichkeit der gravierende Unterschied zu Bobèche und gleichzeitig der Anknüpfungspunkt zu Boulotte, was sich in der – ergreifenden – Szene mit Duett zwischen den beiden in Blaubarts Schloss vor ihrem vermeintlichen Tod niederschlägt. Dort bittet sie um ihr Leben, ist verzweifelt angesichts der Entschlossenheit Blaubarts. Und Blaubart kokettiert in Felsensteins Inszenierung nicht mit seinen Überzeugungen, dass einerseits die Moral die Ehe und andererseits seine Natur als Verehrer der Frauen die Gattinnenmorde verlangen – die Moral des Verführers. Felsenstein inszeniert diesen absurden Dialog völlig ungebrochen, fast ohne jede Distanzierung. Ergreifend wird diese Szene darüber, dass die Inkarnation des Lebens in diesem Stück voller Karikaturen, Boulotte, ihre Todesangst wirklich hat. Weil Felsenstein Boulotte von Anfang an so anlegte, wirkt durch ihr ›echtes‹ Spiel auch Blaubart gefährlich. Die Szene erregt große Anteilnahme beim Zuschauer, denn sie ist in ihrer Absurdität nicht lächerlich, eher monströs. Der einzige Moment ironischer Brechung geschieht, wenn Blaubart das Verlies auf der Treppe verlässt, Boulotte ihm nacheilen will und stürzt. Darauf fragt Blaubart, ob sie sich weh getan habe. Die Inszenierung lässt die Ironie dieses Satzes offen, gewissermaßen als objektive Ironie. Allein, weil er ausgesprochen wird und unweigerlich ein Witz ist, wird sogar in dieser Szene das Element des Spieles integriert, obgleich das nicht die Ernsthaftigkeit des Vorangegangenen tangiert. Hätte Blaubart den Satz als zynischen Witz gesprochen, so wäre seine Figur ebenso verlogen und degeneriert erschienen, wie etwa Bobèche. Durch die so gestellte Nachfrage ist er in gewissem Sinn ohne Heuchelei, er bleibt seinem Sinnengenuss treu. Dies ist die Bedingung dafür, dass sich Boulotte, direkt nachdem sie durch Popolanis List gerettet wird, daran erinnert, wie der nach neuen Frauen lüsternde, ›Ich folg’ der Liebe heiterem Triebe mit jedem Tag auf’s neu!‹ singende Blaubart die Treppe des Verlieses hochsteigt – und zwar in Felsensteins Inszenierung durchaus mit erotischem Begehren.

Wenn man sich die Handlungsführung anschaut, so scheint der Gegenspieler von Bobèche Blaubart zu sein. Beide führen Krieg gegeneinander, sie sind die ›Großen‹. Der Eine lässt seine Frauen, der Andere vermeintliche Liebhaber seiner Frau umbringen.


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